AGG, Entschädigung wegen Verfahrensverletzungen ? (LAG Hamm, 19 Sa 1658/11 und ArbG Bremen-Bremerhaven , 10 Ca 10061/11)

Wir berichteten bereits im April 2010, LVM Nr. 37, über einen Opernsänger, der in einer Vielzahl von Fällen Mitglieder des Deutschen Bühnenvereins auf Entschädigungen nach dem AGG verklagt hatte.

Nun musste dieser auch in der II. Instanz vor dem LAG eine Niederlage einstecken. Das LAG Hamm führt hier u.a. wie folgt aus:

 

Die Beklagte hat nicht gegen das Benachteiligungsverbot gemäß § 81 Abs. 2 SGB IX iVm § 7Abs. 1, § 1 AGG verstoßen. Der Kläger hat nicht in ausreichender Weise dargelegt, dass er eine weniger günstige Behandlung wegen seiner Schwerbehinderung erfahren hat.

Der in § 81 Abs. 2 S. 1 SGB IX und in § 3 Abs. 1 AGG geforderte sog. Kausalzusammenhang ist gegeben, wenn die Ungleichbehandlung an die Schwerbehinderung anknüpft oder durch sie motiviert ist. Ausreichend ist, dass das Diskriminierungsmerkmal Bestandteil eines Motivbündels ist, das die Entscheidung beeinflusst hat. Nach § 22 AGG genügt der Beschäftigte seiner Darlegungs- und Beweislast, wenn er Indizien vorträgt und beweist, die seine Benachteiligung wegen eines verbotenen Merkmals vermuten lassen. Dies ist der Fall, wenn die vorgetragenen Tatsachen aus objektiver Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass die Benachteiligung wegen dieses Merkmals erfolgt ist.

Als Vermutungstatsachen für einen Zusammenhang mit der Behinderung kommen Pflichtverletzungen in Betracht, die der Arbeitgeber begeht, indem er Vorschriften nicht befolgt, die zur Förderung der Chancen schwerbehinderter Menschen geschaffen wurden.

Vorliegend hat die Beklagte unstreitig ihre Arbeitgeberpflichten nach § 81 SGB IX nicht erfüllt, da sie von der Schwerbehinderung keine Kenntnis hatte und ihr daher während des gesamten Vorstellungsverfahrens die Schwerbehinderung des Klägers nicht bewusst war. Insoweit trifft zwar die Beklagte die Obliegenheit, eingehende Bewerbungen sorgfältig und gründlich zu lesen Auf der anderen Seite trifft auch den schwerbehinderten Bewerber, der die Einhaltung der zur Förderung der Chancen der schwerbehinderten Bewerber geschaffenen Vorschriften für sich reklamieren will, die Obliegenheit, den Arbeitgeber über seine Behinderung ordnungsgemäß in Kenntnis zu setzen. Der Kläger hat die Schwerbehinderung in seinem Bewerbungsschreiben nicht erwähnt. Auch der Hinweis im Lebenslauf unter der Rubrik „Spezielle Qualifikationen“ zwischen Softwarekenntnissen und Hobbys, war nicht hinreichend deutlich. Es war vielmehr naheliegend, dass die Beklagte dieser Rubrik keine besondere Aufmerksamkeit schenkt und den Hinweis auf die Schwerbehinderung nicht wahrnimmt.

Da die Beklagte von der Behinderung  des Klägers keine Kenntnis hatte und auch nicht haben musste, indiziert der Verstoß gegen die bei der Bewerbung schwerbehinderter Menschen auferlegten Handlungs- und Unterlassungspflichten vorliegend nicht eine Benachteiligung wegen der Behinderung.

Der objektive Verstoß gegen die bei der Bewerbung schwerbehinderter Menschen auferlegten Pflichten allein begründet keinen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. § 15 Abs. 2 AGG hat nicht die Aufgabe, die Nichteinhaltung der Vorschriften, die zur Förderung der Chancen der schwerbehinderten Menschen geschaffen wurden, zu sanktionieren. Hierfür gelten vielmehr die Bußgeldvorschriften des § 156 SGB IX.

Auch das Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven bewertete die Nichtbeachtung der Schwerbehinderung in einer nur per Email eingereichten Bewerbung nicht als entschädigungsauslösend. Die Beweisaufnahme hat hier ergeben, dass die Bewerbung von einer Mitarbeiterin der Beklagten aus der Eingangspost hinsichtlich der Anlagen - und nur aus diesen war die Schwerbehinderung ersichtlich - ungeöffnet an die für das Bewerbungsverfahren zuständige Mitarbeiterin weitergeleitet worden ist. Die zuständige Adressatin hatte ausgesagt, dass sie die Bewerbung einschließlich der Anlagen nicht zur Kenntnis genommen hatte. Die Kammer hatte keinen Zweifel an der Glaubwürdigkeit.  Zwar wies der Kläger mit Recht daraufhin, dass eine solche Argumentation im Ergebnis dazu führen könnte, dass sich ein potentieller Arbeitgeber seinen Verpflichtungen zu einem diskriminierungsfreien Bewerbungsverfahren entziehen könnte. Die Entscheidung beruhte jedoch auf der Beweiswürdigung im Einzelfall.   

 

Praxistipp:

Unabhängig von der vorliegenden Fallgestaltung möchten wir Ihnen nochmals ein Handling hinsichtlich der Bewerbung Schwerbehinderter mitgeben.

 

Zur Erleichterung der Abwehr von Entschädigungsforderungen sind das Datum des Absageschreibens und dessen  Zugang zu dokumentieren. Ferner empfiehlt sich, Kopien von Bewerbungsunterlagen schwerbehinderter Bewerber, jedenfalls für die Dauer von mindestens zwei Monaten nach der Absage aufzubewahren.

 

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