Roswitha Kranefuss

Roswitha Kranefuss

Fachanwältin für Arbeitsrecht, 

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Befristung nach dem NV Bühne ( Bühnenschiedsgericht für Opernchöre v. 16.01.2015, Aktz.: BSchG C 6/14 F)

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Vertragsbefristung.

Die Klägerin wurde aushilfsweise aufgrund Sonderurlaubs einer Chorsängerin in der Stimmgruppe Opernchormitglied eingestellt. Der zuletzt befristete Vertrag war für die Zeit vom 08.07.2013 bis 27.07.2014 begründet. Es wurde weiter wörtlich wie folgt vereinbart: „ Es besteht Übereinstimmung, dass der Vertrag mit Ablauf 27. Juli 2014 endet, ohne dass es einer besonderen Mitteilung bedarf.“

Eine Nichtverlängerungsmitteilung im Sinne von § 83 Abs. 2 NV Bühne erfolgte nicht.

Das Bühnenschiedsgericht gab der Klägerin Recht und stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht mit der vereinbarten Vertragsbefristung am 27.07.2014 endete, sondern es sich gemäß § 83 Abs. 2 NV Bühne mangels einer Nichtverlängerungsmitteilung um ein weiteres Jahr verlängerte.

Eine Nichtverlängerungsmitteilung ist eine notwenige Voraussetzung für die Beendigung des zwischen den Parteien bestehenden befristeten Arbeitsverhältnisses. Nach § 83 Abs. 2 NV Bühne verlängert sich ein mindestens für ein Jahr abgeschlossener Arbeitsvertrag zu den gleichen Bedingungen um ein Jahr, es sei denn, eine Vertragspartei teilt der anderen bis zu 31. Oktober der Spielzeit, mit deren Ablauf der Arbeitsvertrag endet, schriftlich mit, dass sie nicht beabsichtige, den Arbeitsvertrag zu verlängern. Eine Befristung, die einen Zeitraum von weniger als einem Jahr umfasst und im Übrigen den Maßstäben des § 14 TzBfG genügt, beendet also das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Befristungszeitraums ohne dass es einer Nichtverlängerungsmitteilung bedürfte.

Nicht anderes ergibt sich aus § 15 Abs. 1 TzBfG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 TzBfG. Zwar endet nach § 15 Abs. 1 TzBfG ein kalendermäßig befristeter Arbeitsvertrag mit Ablauf der vereinbarten Zeit und nach § 14 Abs. 1 Nr. 3 TzBfG kann ein Arbeitsvertrag befristet werden, wenn der Arbeitnehmer zur Vertretung eine anderen Arbeitnehmers beschäftigt wird. Doch auch für diesen Fall ist eine Nichtverlängerungsmitteilung nicht überflüssig, soweit die Befristung für einen Zeitraum erfolgte, der mehr als ein Jahr umfasst.

Der Wortlaut des § 83 Abs. 2 NV Bühne ist insoweit eindeutig, er benennt ohne jede weitere Differenzierung den „mindestens für ein Jahr (Spielzeit) abgeschlossenen Arbeitsvertrag.“

83 Abs. 2 NV Bühne konnte auch nicht im Vertrag wirksam abbedungen werden. Diese Vereinbarung war gemäß § 134 BGB wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot unwirksam. Gemäß § 99 NV Bühne kommt eine Abbedingung der Regelungen in § 83 NV Bühne nur durch eine tarifvertragliche Regelung in Betracht, nicht aber durch einen individualrechtlichen Arbeitsvertrag.

 

 

 

Ordentliche Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen – Unterlassen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ( BAG, Urteil vom 20.11.2014 – 2 AZR 755/13)

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen.

Bei häufigen (Kurz-)Erkrankungen ist, damit sie eine Kündigung sozial rechtfertigen können, zunächst eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen.  

Die Beklagte hat die Krankheitszeiten des Klägers nach Zahl, Dauer und zeitlicher Folge im Einzelnen vorgetragen. Danach war der Kläger auch ohne die durch Arbeitsunfälle bedingten Ausfallzeiten seit Mitte des Jahres 2007 in erheblichem Umfang, kontinuierlich ansteigend wegen Krankheit arbeitsunfähig.

Einer negativen Prognose steht nicht entgegen, dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten auf unterschiedlichen Erkrankungen beruhten. Selbst wenn die Krankheitsursachen verschieden sind, können sie doch auf eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit hindeuten, die prognostisch andauert.

Zu Gunsten der Beklagten konnte weiter unterstellt werden, dass sie damit zu rechnen hatte, an den Kläger auch zukünftig Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für mindestens sechs Wochen jährlich leisten zu müssen.

Die Kündigung war dennoch sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht „ultima ratio“ und deshalb unverhältnismäßig. Die Beklagte hatte das gesetzlich vorgesehene bEM unterlassen, ohne dass sie dargelegt hätte, es habe im Kündigungszeitpunkt kein milderes Mittel als die Kündigung gegeben, um der in der Besorgnis weiterer Fehlzeiten bestehenden Vertragsstörung entgegenzuwirken.

Es ist Sache des Arbeitgebers, die Initiative zur Durchführung eines gesetzlich gebotenen betrieblichen Eingliederungsmanagements zu ergreifen. Dazu gehört, dass er den Arbeitnehmer auf die Ziele des bEM sowie die Art und den Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinweist.

Hat der Arbeitgeber die gebotene Initiative nicht ergriffen, muss er zur Darlegung der Verhältnismäßigkeit einer auf krankheitsbedingten Fehlzeiten gestützten Kündigung nicht nur die objektive Nutzlosigkeit arbeitsplatzbezogener Maßnahmen im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG aufzeigen. Er muss vielmehr auch dartun, dass künftige Fehlzeiten ebenso wenig durch gesetzlich vorgesehene Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger in relevantem Umfang hätten vermieden werden können.

Die Durchführung des bEM ist zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. § 84 Abs. 2 SGB IX ist dennoch kein bloßer Programmsatz. Die Norm konkretisiert den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe des bEM können möglicherweise mildere Mittel als die Kündigung erkannt und entwickelt werden.

 

Betriebsrat – Schulung – Mobbingseminar ( BAG, Beschluss v. 14.01.2015, Aktz.: 7 ABR 95/12)

Die Beteiligten streiten um die Freistellung von Schulungskosten, die durch die Teilnahme des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden an einem Seminar zum Thema Mobbing entstanden sind.

Der Arbeitgeber hat die Ansicht vertreten, die in dem Mobbingseminar vermittelten Spezialkenntnisse seien für eine sach- und fachgerechte Betriebsratsarbeit nicht erforderlich gewesen.

Das BAG hat den Anspruch des Betriebsrat gemäß §§ 40 Abs. 1 iVm § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG bejaht.

Nach § 40 Abs. 1 BetrVG hat der Arbeitgeber die Kosten zu tragen, die anlässlich der Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds an einer Schulungsveranstaltung nach § 37 Abs. 6 BetrVG entstanden sind, sofern das bei der Schulung vermittelte Wissen für die Betriebsratsarbeit erforderlich ist. Nach § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG ist die Vermittlung von Kenntnissen erforderlich, wenn sie unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse in Betrieb und Betriebsrat notwendig sind, damit der Betriebsrat seine gegenwärtigen oder in naher Zukunft anstehenden Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen kann. Dabei wird zwischen sog. Grundkenntnissen und anderen Schulungsveranstaltungen unterschieden. Durch die Vermittlung von Grundwissen soll das Betriebsratsmitglied erst in die Lage versetzt werden, seine sich aus der Amtsstellung ergebenden Rechte und Pflichten ordnungsgemäß wahrzunehmen. Für andere Schulungsveranstaltungen muss ein aktueller, betriebsbezogener Anlass für die Annahme bestehen, dass die in der Schulungsveranstaltung zu erwerbenden Kenntnisse derzeit oder in naher Zukunft von dem zu schulenden Betriebsratsmitglied benötigt werden, damit der Betriebsrat seine Beteiligungsrechte sach- und fachgerecht ausüben kann.

Die Schulung des entsandten Betriebsratsmitglieds ist nicht notwendig, wenn die auf der Schulungsveranstaltung vermittelten Kenntnisse im Betriebsrat bereits vorhanden sind. Allerdings ist der Betriebsrat weder verpflichtet, die anstehenden Aufgaben auf wenige kenntnisreiche Mitglieder zu konzentrieren, noch muss er sich bei der Aufgabenerfüllung auf die Information eines einzelnen Betriebsratmitglieds verlassen. Auch wenn ein Mitglied die erforderlichen Kenntnisse bereits besitzt, kann die sinnvolle Organisation der Betriebsratsarbeit es gebieten, auch andere Mitglieder mit der Aufgabenwahrnehmung zu betrauen. Es hängt dabei maßgeblich von der Größe und personellen Zusammensetzung sowie von der Geschäftsverteilung des Betriebsrats ab, ob und inwieweit eines oder mehrere Mitglieder über Spezialkenntnisse verfügen müssen.

Kenntnisse zum Thema Mobbing können für die Arbeit des Betriebsrats iSd. § 37 Abs. 6 BetrVG erforderlich sein, wenn sich der Betriebsrat aufgrund der konkreten Verhältnisse im Betrieb veranlasst sehen darf, sich mit diesem Thema zu befassen.

Arbeitgeber und Betriebsrat haben nach § 75 BetrVG darüber zu wachen, dass die im Betrieb tätigen Arbeitnehmer nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden und die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit geschützt und gefördert wird. Je nach Fallgestaltung haben die Betriebsparteien entsprechend dieser Norm die gesetzliche Pflicht, Mobbinghandlungen im Betrieb zu unterbinden. Der Betriebsrat hat nach § 85 BetrVG Beschwerden betroffener Arbeitnehmer entgegenzunehmen, deren Berechtigung zu überprüfen und auf eine Beseitigung der Konfliktlage hinzuwirken. § 104 BetrVG gibt ihm das Recht, vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung diskriminierender Arbeitnehmer zu verlangen. Dem Betriebsrat stehen außerdem auch Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 7 BetrVG zu. Eine sachgerechte Wahrnehmung dieser Aufgaben verlangt Kenntnisse über Ursachen und Verläufe von Mobbinggeschehen und das Wissen um konkrete Abhilfemöglichkeiten.

Der Betriebsrat hat vorliegend eine konkrete Konfliktsituation dargelegt, die sich bei unkontrolliertem Fortgang zu einer Mobbingssituation hätte entwickeln können.

Der Beschluss des Betriebsrats, zusätzlich zu dem im Jahr 2004 geschulten Vorsitzenden den Stellvertreter zu einer ähnlichen Schulung zu entsendete, hält sich angesichts der Größe des Betriebs mit ca. 600 Mitarbeitern in dessen Beurteilungsspielraum. 

 

Befristung – Rechtsmissbrauch (LArbG Berlin-Brandenburg v. 04.02.2015, Aktz.: 15 Sa 1947/14)

Die Parteien streiten im Wesentlichen darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis aufgrund wirksamer Befristung mit dem 14. April 2013 sein Ende gefunden hat. Der Kläger war in der Zeit vom 1. August 2004 bis zum 14. August 2007 im Rahmen einer Ausbildung zum Straßenwärter tätig. In den nachfolgenden 6 Jahren und 8 Monaten war er auf Basis von 10 befristeten Verträgen als Straßenwärter beschäftigt.

Im letzten Arbeitsvertrag war als Sachgrund „zur Unterstützung bei der Durchführung des Winterdienstes“ angegeben.

Das LAG prüfte vorliegend nicht, ob dieser sachliche Grund für diem letzte Befristung vorlag. Das LAG erachtete die letzte Befristung als rechtsmissbräuchlich.

Hinweis: Sowohl auf Basis des Europäischen Rechts als auch auf Basis des Nationalen Rechts ist eine Rechtsmissbrauchskontrolle vorzunehmen. Das Bundesarbeitsgericht prüft dieses Kriterium am Maßstab des institutionellen Rechtsmissbrauchs.

Die befristete Beschäftigung darf nicht zur dauerhaften Umgehung des durch das Teilzeitbefristungsgesetz gewährleisteten Bestandsschutz einzelner Arbeitnehmer zweckentfremdet werden. Von besonderer Bedeutung für die Beurteilung eines möglichen Rechtsmissbrauchs sind die Gesamtdauer der befristeten Verträge sowie die Anzahl von Vertragsverlängerungen. Von Bedeutung ist ferner, ob der Arbeitnehmer stets auf demselben Arbeitsplatz mit denselben Aufgaben beschäftigt wird oder ob es sich um wechselnde, ganz unterschiedliche Aufgaben handelt. Zu berücksichtigen ist weiterhin die Laufzeit der einzelnen befristeten Verträge sowie die Frage, ob und in welchem Maße die vereinbarte Befristungsdauer zeitlich hinter dem zu erwatenden Vertretungsbedarf zurückbleibt. Daneben spielen zahlreiche weitere Gesichtspunkte eine Rolle, wie branchenspezifische Besonderheiten.

Vorliegend überschreiten sowohl die Anzahl der befristeten Verträge als auch die Dauer der ununterbrochenen Beschäftigungszeit ganz erheblich die Grenzen, die nach § 14 Abs. 1 TzBfG für die Befristungskontrolle maßgeblich sind. Der Kläger war ununterbrochen und durchgängig im Winter aufgrund des erhöhten Beschäftigungsbedarfs und im Sommermonaten als Vertretung von ausgefallenen Arbeitnehmern beschäftigt. Die Grundsätze des Saisonbetriebs wirken sich nicht aus. Auch wenn das beklagte Land nicht zur Vorhaltung einer dauerhaften Personalreserve verpflichtet werden kann, ist die hier gewählte Vertragsgestaltung wegen der langfristigen ununterbrochenen Tätigkeit unter Zuhilfenahme von 10 befristeten Arbeitsverträgen gegenüber dem Kläger als rechtsmissbräuchlich zu werten.

 

 

 

Kündigung nach In-Vitro-Fertilisation (BAG, Urteil vom 26. März 2015 - Aktz.: 2 AZR 237/14) 

Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG ist eine ohne behördliche Zustimmung ausgesprochene Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft bekannt war oder sie ihm innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. Im Fall einer Schwangerschaft nach einer Befruchtung außerhalb des Körpers (In-vitro-Fertilisation) greift das mutterschutzrechtliche Kündigungsverbot bereits ab dem Zeitpunkt der Einsetzung der befruchteten Eizelle (sog. Embryonentransfer) und nicht erst mit ihrer erfolgreichen Einnistung (Nidation). Dies hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts entschieden und - wie schon die Vorinstanzen - der Kündigungsschutzklage einer Arbeitnehmerin stattgegeben.

Die Klägerin war als eine von zwei Angestellten seit Februar 2012 in der Versicherungsvertretung des Beklagten beschäftigt. Ermahnungen oder Abmahnungen etwa wegen schlechter Leistungen erhielt sie nicht. Am 14. oder 15. Januar 2013 teilte sie dem Beklagten mit, dass sie seit mehreren Jahren einen bisher unerfüllten Kinderwunsch hege und ein erneuter Versuch einer künstlichen Befruchtung anstehe. Der Embryonentransfer erfolgte am 24. Januar 2013. Am 31. Januar 2013 sprach der Beklagte - ohne behördliche Zustimmung - eine ordentliche Kündigung aus. In der Folge besetzte er die Stelle mit einer älteren Arbeitnehmerin. Am 7. Februar 2013 wurde bei der Klägerin eine Schwangerschaft festgestellt. Hierüber informierte sie den Beklagten am 13. Februar 2013.

Die Kündigung ist unwirksam. Die Klägerin genoss bei ihrem Zugang wegen des zuvor erfolgten Embryonentransfers den besonderen Kündigungsschutz des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG. Die Kündigung verstößt zudem gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG iVm. §§ 1, 3 AGG. Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 26. Februar 2008 (C-506/06) entschieden, es könne eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts vorliegen, wenn eine Kündigung hauptsächlich aus dem Grund ausgesprochen werde, dass die Arbeitnehmerin sich einer Behandlung zur In-vitro-Fertilisation unterzogen habe. Im Streitfall durfte das Landesarbeitsgericht nach den gesamten Umständen davon ausgehen, dass die Kündigung wegen der (beabsichtigten) Durchführung einer solchen Behandlung und der damit einhergehenden Möglichkeit einer Schwangerschaft erklärt wurde.

Pressemitteilung des BAG Nr. 17/15

Außerordentliche Kündigung – sexuelle Belästigung – Verhältnismäßigkeit ( BAG 20.11.2014, Aktz.: 2 AZR 651/13)

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung.

Der Kläger ist seit 1996 bei der Beklagten beschäftigt. Am 27.12.2012 betrat er die Sozialräume der Beklagten, um sich dort umzuziehen. Er traf dort auf die ihm bislang unbekannte Mitarbeiterin eines externen Reinigungsunternehmens. Bei seinem Eintreffen lehnte diese in der Tür zwischen Wasch- und Umkleideraum und unterhielt sich mit zwei Kollegen des Klägers, die sich im Waschraum befanden. Nachdem die beiden Kollegen die Räumlichkeiten verlassen hatten, führten der Kläger – während er sich Hände und Gesicht wusch – und Frau M. ein Gespräch. In dessen Verlauf stellte diese sich zunächst vor das Waschbecken und anschließend neben den Kläger. Der Kläger sagte zu ihr, sie habe einen schönen Busen und berührte sie an der Brust. Frau M. erklärte, dass sie dies nicht wünsche. Der Kläger ließ sofort von ihr ab.

Am 31. Juli 2012 bat die Beklagte den Kläger zu einem Gespräch. Er gestand den Vorfall ein und erklärte, er habe sich eine Sekunde lang vergessen. „Die Sache“ tue ihm furchtbar leid. Er schäme sich, so etwas werde sich nicht wiederholen.

Der Kläger erhielt die außerordentliche fristlose Kündigung.

In der Folge richtete der Kläger ein Entschuldigungsschreiben an Frau M. Er führte mit ihr unter Zahlung eines Schmerzengelds einen Täter-Opfer-Ausgleich herbei. Frau M. nahm seine Entschuldigung und versicherte, die Angelegenheit sei damit für sie erledigt.

Das BAG erklärte die außerordentliche Kündigung als unbegründet.

Dabei sei „an sich“ ein wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB gegeben.

Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch sexuell bestimmte körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein etwa von Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG können auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltenswiesen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen.

Bei der Aussage, Frau M. habe einen schönen Busen, handelte es sich nicht um ein sozialadäquates Kompliment, sondern um eine unangemessene Bemerkung sexuellen Inhalts. In der anschließenden Berührung lag ein sexuell bestimmter Eingriff in die körperliche Intimsphäre von Frau M.

Obwohl der Kläger Frau M. sexuell belästigt hat, ist es der Beklagten zuzumuten, ihn weiter zu beschäftigen. Nach den Umständen des Streitfalls hätte eine Abmahnung als Reaktion ausgereicht.

Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist.

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird zudem durch § 12 Abs. 3 AGG konkretisiert. Danach hat der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG, zu denen auch sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 AGG gehören, die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen – wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung – zu ergreifen. Welche Maßnahmen er als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen ab. § 12 Abs. 3 AGG schränkt das Auswahlermessen allerdings insoweit ein, als der Arbeitgeber die Benachteiligung zu „unterbinden“ hat. Geeignet iSd. Verhältnismäßigkeit sind daher nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, dh eine Wiederholung ausschließen.

 

Kündigungserklärung – Bestimmbarkeit ( LAG Düsseldorf, Urteil v. 28.08.2014, Aktz.: 5 Sa 1251/13)

Die Parteien streiten über die Frage, ob eine von der Beklagten ausgesprochene ordentliche Kündigung rechtswirksam geworden ist.

Das BAG entscheid, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 1.2.2013 nicht nach Ablauf einer Kündigungsfrist beendet worden ist, weil die Kündigungserklärung im Schreiben vom 01.02.2013 nicht ausreichend bestimmt ist und nicht erkennen lässt, zu welchem Termin das Arbeitsverhältnis letztlich beendet werden sollte.

Hinweis:

Bei der Auslegung einer Kündigung ist nicht allein auf ihren Wortlaut abzustellen. Zu würdigen sind auch alle Begleitumstände, die dem Erklärungsempfänger bekannt waren und die für die Frage erheblich sein können, welchen Willen der Erklärende bei Abgabe der Erklärung hatte. Der Erklärungsempfänger muss aus dem Wortlaut und den Begleitumständen der Kündigung u.a. erkennen können, wann das Arbeitsverhältnis enden soll. Bei Zugang der Kündigung muss für ihn bestimmbar sein, ob eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung gewollt ist und zu welchem Termin das Arbeitsverhältnis enden soll.  

Dafür genügt im Fall einer ordentlichen Kündigung regelmäßig die Angabe des Kündigungstermins oder der Kündigungsfrist. Einen Hinweis auf die maßgeblichen gesetzlichen oder tariflichen Regelungen reicht aus, wenn der Erklärungsempfänger dadurch unschwer ermitteln kann, zu welchem Termin das Arbeitsverhältnis enden soll. In diesem Sinne ist auch eine Kündigung zum nächstmöglichen Termin möglich, wenn dem Erklärungsempfänger die Dauer der Kündigungsfristbekannt oder für ihn bestimmbar ist. Eine Kündigung ist allerdings nicht auslegungsfähig und damit nicht hinreichend bestimmt, wenn in der Erklärung mehrere Termine für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses genannt werden und für den Erklärungsempfänger nicht erkennbar ist, welcher Termin gelten soll.

Entscheidend vorliegend war, dass das von der Beklagten gewählte System der Kündigungsfristenregelung in § 2 des Arbeitsvertrages eine Bestimmung der einschlägigen Kündigungsfrist nicht zulässt.

 

Observation durch einen Detektiv mit heimlichen Videoaufnahmen ( BAG, Urteil vom 18. Februar 2015, Aktz.: 8 AZR 1007/13)

Ein Arbeitgeber, der wegen des Verdachts einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit einem Detektiv die Überwachung eines Arbeitnehmers überträgt, handelt rechtswidrig, wenn sein Verdacht nicht auf konkreten Tatsachen beruht. Für dabei heimlich hergestellte Abbildungen gilt dasselbe. Eine solche rechtswidrige Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann ein Geldentschädigungsanspruch („Schmerzensgeld“) begründen.

Die Klägerin war bei der Beklagten seit Mai 2011 als Sekretärin der Geschäftsleitung tätig. Ab dem 27. Dezember 2011 war sie arbeitsunfähig erkrankt, zunächst mit Bronchialerkrankungen. Für die Zeit bis 28. Februar 2012 legte sie nacheinander sechs Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, zuerst vier eines Facharztes für Allgemeinmedizin, dann ab 31. Januar 2012 zwei einer Fachärztin für Orthopädie. Der Geschäftsführer der Beklagten bezweifelte den zuletzt telefonisch mitgeteilten Bandscheibenvorfall und beauftragte einen Detektiv mit der Observation der Klägerin. Diese erfolgte von Mitte bis Ende Februar 2012 an vier Tagen. Beobachtet wurden u.a. das Haus der Klägerin, sie und ihr Mann mit Hund vor dem Haus und der Besuch der Klägerin in einem Waschsalon. Dabei wurden auch Videoaufnahmen erstellt.

Die Klägerin hält die Beauftragung der Observation einschließlich der Videoaufnahmen für rechtswidrig und fordert ein Schmerzensgeld, dessen Höhe sie in das Ermessen des Gerichts gestellt hat. Sie trägt vor, sie habe erhebliche psychische Beeinträchtigungen erlitten, die ärztlicher Behandlung bedürften.

Das BAG bestätigte das Urteil des LAG, mit dem der Klägerin € 1.000,- zugesprochen wurden. Die Observation einschließlich der heimlichen Aufnahmen war rechtswidrig. Der Arbeitgeber hatte keinen berechtigten Anlass zur Überwachung. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen war weder dadurch erschüttert, dass sie von unterschiedlichen Ärzten stammten, noch durch eine Änderung im Krankheitsbild oder weil ein Bandscheibenvorfall zunächst ärztlich behandelt worden war.

 

Hinzuziehung eines Rechtsbeistands zum BEM (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18.12.2014, Aktz.: 5 Sa 518/14)  

Es stellt sich immer wieder die Frage, wann ein Mitarbeiter in Personalgesprächen einen Rechtsbeistand hinzuziehen kann.

Vorliegend stritten die Parteien darüber, ob die Klägerin die Hinzuziehung eines Rechtsbeistandes zu Gesprächen des betrieblichen Eingliederungsmanagements verlangen kann.

Auf Seiten der Beklagten sollten die lokale Personalsachbearbeiterin sowie die Vorgesetzte der Klägerin teilnehmen. Weiter war die Teilnahme des Betriebsrats und ggf. der Schwerbehindertenvertreter vorgesehen. Die Klägerin war damit einverstanden, sie verlangte jedoch die Teilnahme ihres Prozessbevollmächtigten. Dies lehnte die Beklagte ab.

Zu Recht. Sowohl das Arbeits- als auch das Landesarbeitsgericht haben die Klage als unbegründet abgewiesen.

Nach § 84 Abs. 2 SGB IX besteht keine Pflicht der Beklagten, den Rechtsbeistand der Klägerin zu einem BEM-Gespräch hinzuziehen.

Das Gesetz benennt die vom Arbeitsgeber neben dem betroffenen Arbeitnehmer zu beteiligenden Personen und Stellen ausdrücklich. Er sieht mit Zustimmung des Arbeitnehmers die Einbeziehung der zuständigen Interessenvertretung iSd. § 93 SGB IX ( Betriebsrat oder Personalrat) und bei schwerbehinderten Menschen außerdem der Schwerbehindertenvertretung vor. Soweit erforderlich wird der Werks- oder Betriebsarzt hinzugezogen. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen in Betracht, werden vom Arbeitgeber die örtlich gemeinsamen Servicestellen der Rehabilitationsträger oder bei schwerbehinderten Beschäftigten das Integrationsamt hinzugezogen.

Von diesen gesetzlichen Erfordernissen muss die Beklagte - auch nicht über § 242 BGB aus Gründen der „Waffengleichheit“ abweichen.

Zwar lässt die Rechtsprechung des BAG im Zusammenhang mit der Anhörung des Arbeitnehmers zu einer Verdachtskündigung erkennen, dass dem Arbeitnehmer Gelegenheit zu geben sein dürfte, einen Rechtsanwalt hinzuziehen. Dies jedoch vor dem Hintergrund, dass das Arbeitsverhältnis dort bereits als erheblich gefährdet angesehen werden kann. Das Eingliederungsmanagement zielt darauf ab, dem arbeitsunfähigen Arbeitnehmer den Arbeitsplatz zu erhalten. Sinn und Zweck des BEM besteht nicht darin, widerstreitende Interessen der Arbeitsvertragsparteien anzufechten, sondern krankheitsbedingte Kündigungen zu verhindern. Ziel ist die frühzeitige Klärung, ob und ggf. welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um eine möglichst dauerhafte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu fördern.

Fristgemäß – irgendwie einleuchtender Grund – Kleinbetrieb – Kündigung – langandauernde Arbeitsunfähigkeit – langjährige Betriebszugehörigkeit – Treuwidrigkeit ( LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 14.10.2014, Aktz.: 1 Sa 151/14)

Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer Kündigung.

Die 1966 geborene Klägerin ist seit dem 1.1.1994 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern als Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte tätig. Die Beklagte beschäftigt einschließlich der Klägerin fünf Arbeitnehmer.

Die Klägerin war bei Zugang der Kündigung bereits 2,5 Monate erkrankt und konnte auf Nachfrage keine Angaben zu einem möglichen Zeitpunkt der Wiedergenesung machen.

Das Arbeitsgericht wie das Landesarbeitsgericht haben die Kündigung als rechtmäßig angesehen. Die Kündigung verstößt nicht gegen die gemäß § 242 BGB bei jedem Rechtsgeschäft zu beachtenden Grundsätze von Treu und Glauben.

Hinweis:

Das BAG führt unter Hinweis auf die entsprechende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27.01.1998 ( BVerfGE 97,169) aus, dass die Arbeitnehmer durch die Herausnahme aus dem gesetzlichen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz nicht völlig schutzlos gestellt sind. Wo die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes nicht greifen, sind die Arbeitnehmer durch die zivilrechtlichen Generalklauseln vor einer treuwidrigen Ausübung des Kündigungsrechts des Arbeitgebers geschützt. Der durch die Generalklauseln vermittelte Schutz darf aber nicht dazu führen, dass dem Kleinunternehmer praktisch die im Kündigungsschutzgesetz vorgegeben Maßstäbe der Sozialwidrigkeit auferlegt werden. Darüber hinaus wirkt der umso schwächer, je stärker die mit der Kleinbetriebsklausel geschützte Grundrechtsposition des Arbeitgebers im Einzelfall betroffen ist. In sachlicher Hinsicht geht es darum Arbeitnehmer vor willkürlichen oder sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen. Schließlich darf auch ein durch langjährige Mitarbeit erdientes Vertrauen in den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses nicht unberücksichtigt bleiben.

Vorliegend muss der Grund für die Kündigung gegenüber einem langjährig beschäftigten Arbeitnehmer auch angesichts der Betriebszugehörigkeit „einleuchten“.

Maßgeblich ist vorliegend, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit bereits lange Zeit arbeitsunfähig war, nämlich zweieinhalb Monate und das eine Wiedergenesung auch nach den eigenen Angaben der Klägerin nicht absehbar war. Ferner war maßgeblich, dass die Beklagte jemanden für die Erledigung der bislang von der Klägerin erledigten Aufgaben dringend benötigte. Dem Vortrag der Beklagten, eine kurzfristige Ersatzkraft über das Arbeitsamt habe sie nicht bekommen, den diese durch eine entsprechende Unterlage der Bundesagentur für Arbeit belegt hat, ist die Klägerin nicht weiter entgegengetreten.

Wenn die Beklagte in dieser Situation die Möglichkeit nutzt, eine andere R.-Angestellte unbefristet einstellen zu können, ist das als Kündigungsmotiv einleuchtend. Die Beklagte darf insoweit berücksichtigen, dass sie ihren Betrieb wirtschaftlich zu führen hat.  

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