Für die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen benötigen Sie gemäß § 85 SGB IX grundsätzlich immer die vorherige Zustimmung des Integrationsamtes. Dies gilt ausdrücklich für alle Arten von Kündigungen, so z.B.
- für ordentliche Kündigungen
- außerordentliche Kündigungen
- Massenentlassungen
- Kündigungen im Konkurs
- Änderungskündigungen
- außerordentliche Kündigung eines schwerbehinderten Auszubildenden
Beispiel:
"Krankheitsbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit" Bruno G., der behindert im Sinne des § 2 Absatz 1 SGB IX ist ("schwerbehinderter Mensch"), erbringt in Ihrem Unternehmen schon seit langem nicht mehr die volle Arbeitsleistung, weshalb Sie ihn auch schon an einen anderen "leidensgerechten" Arbeitsplatz versetzt haben. Da dies nicht zu einer Verbesserung der Situation führt, wollen Sie ihm jetzt personenbedingt kündigen.
Folge:
Zwar kann die krankheitsbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit einen personenbedingten Kündigungsgrund (BAG, Urteil vom 26.09.1991 = DB 1992, Seite 2196). Die Kündigung bedarf jedoch gemäß § 85 SGB IX der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Immer wenn Sie also gegenüber einem Schwerbehinderten eine Kündigung aussprechen wollen, müssen Sie also immer daran denken, dass eine ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochene Kündigung unwirksam ist.
Wichtiger Hinweis:
Der Sonderkündigungsschutz des § 85 SGB IX stellt allein darauf ab, ob es sich objektiv um ein Arbeitsverhältnis eines "schwerbehinderten Menschen" im Sinne des § 2 Absatz 1 SGB IX oder eines Gleichgestellten im Sinne des § 2 Absatz 2 SGB IX handelt.
Beispiel:
"Formelle Feststellung einer Schwerbehinderung" Als Sie Bruno G. die Kündigung erklärt haben, hatte das Versorgungsamt diesen förmlich als Schwerbehinderten anerkannt (Feststellung der Schwerbehinderung).
Folge:
Hier greift der Sonderkündigungsschutz des § 85 SGB IX ein. Das gleiche gilt, wenn ein Arbeitnehmer durch Gleichstellungsbescheid einem Schwerbehinderten gemäß § 2 Absatz 2 SGB IX gleichgestellt wurde. Immer wenn das Versorgungsamt also bereits die Behinderung eines Arbeitnehmers festgestellt (Feststellen der Schwerbehinderteneigenschaft) oder diesen als gleichgestellten behinderten Menschen anerkannt hat (sogenannte Gleichgestellte), dürfen Sie also Schwerbehinderten nur mit Zustimmung des Integrationsamtes kündigen (Wirksamkeitsvoraussetzung). Auf Ihre Kenntnis von der Schwerbehinderung, der Beantragung oder Gleichstellung kommt es somit für das Bestehen des gesetzlichen Sonderkündigungsschutzes nicht an.
Wichtiger Hinweis:
Aber "Vorsicht" bei offenkundiger Schwerbehinderung: Denn hier müssen Sie nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ausnahmsweise doch die Zustimmung des Integrationsamtes einholen.
Beispiel:
"Deutlich erkennbare Einschränkung" Obwohl die körperlichen Einschränkungen von Bruno G. seit längerem sichtbar sind, sprechen Sie diesem gegenüber die Kündigung aus.
Folge:
Die Kündigung ist unwirksam. Offenkundigkeit liegt bei solchen gesundheitlichen Beeinträchtigungen vor, die ihrer Art nach den Schluss auf eine Schwerbehinderteneigenschaft nahe legen (BAG, Urteil vom 16.01.1985 - 7 AZR 373/83 = AP Nr. 14 zu § 12 Schwerbehindertengesetz (SchwbG)). Die vorherige Zustimmung des Integrationsamtes müssen Sie aber nicht nur bei Offenkundigkeit der Behinderung, sondern auch dann einholen, wenn der Arbeitnehmer Sie vor Ausspruch der Kündigung über seine körperlichen Beeinträchtigungen informiert bzw. Sie über seinen Antrag auf Feststellung seiner Schwerbehinderteneigenschaft bzw. Gleichstellung in Kenntnis gesetzt hat (BAG, Urteil vom 07.03.2002 - 2 AZR 612/00).
Wichtiger Hinweis:
Anders als nach dem alten Recht müssen Sie jedoch nach neuerer Rechtsprechung gemäß § 90 Absatz 2 a SGB IX die Regeln über den Sonderkündigungsschutz nur unter der Voraussetzung anwenden, dass der Arbeitnehmer seinen Anerkennungsantrag mindestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung beim Versorgungsamt gestellt hat (BAG, Urteil vom 01.03.2007, in: NZA 2008, Seite 302).
Beispiel:
"Die verspätete Antragstellung" Bruno G. hat erst zwei Wochen vor der Kündigung einen Anerkennungsantrag gestellt.
Folge:
Gemäß § 90 Absatz 2 a SGB IX bedurfte die Kündigung nicht der Zustimmung des Integrationsamtes. Danach greift der Sonderkündigungsschutz gemäß § 90 Absatz 2 a SGB IX also nicht ein, wenn die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist oder der Arbeitnehmer seinen Anerkennungsantrag nicht mindestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung beim Versorgungsamt gestellt hat. Diese Ausnahme vom Sonderkündigungsschutz gilt auch für gleichgestellte Arbeitnehmer (BAG, Urteil vom 01.03.2007 - 2 AZR 217/06 in: NZA 2008, Seite 302).
Beachte:
Gemäß § 92 SGB IX bedürfen Sie jedoch nicht nur bei Kündigungen, sondern auch bei bestimmten sonstigen rentenrechtlichen Beendigungstatbeständen der ausdrücklichen vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes (Erweiterter Beendigungsschutz).
Beispiel:
"Erforderlichkeit der Zustimmung des Integrationsamtes bei Berufsunfähigkeit" Auf fortbestehende Leistungsminderung von Bruno G. hat die Krankenkasse inzwischen durch Bescheid seine Berufsunfähigkeit auf Zeit anerkannt.
Folge:
Auch in diesem Fall ist bei einer Beendigung ohne Kündigung die vorherige Zustimmung des Integrationsamtes notwendig (§ 92 SGB IX). Dies bedeutet, dass der gesetzliche Schwerbehindertenschutz nicht nur im "Kündigungsfalle", sondern auch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Folge Eintritts einer teilweisen Erwerbsminderung, der Erwerbsminderung auf Zeit, der Berufsunfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit auf Zeit die Zustimmung des Integrationsamtes benötigen (§ 92 SGB IX).
Arbeitgeber-Tipp
Schließlich müssen Sie noch daran denken, die Zustimmung des Integrationsamtes auch in folgenden Fällen einzuholen:
- die Beendigung eines faktischen Arbeitsverhältnisses durch Geltendmachung des Nichtzustandekommens eines rechtswidrigen Arbeitsvertrages und Bekundung des Nicht-Fortsetzungswillens
- Beendigung einer vorläufigen Einstellung gemäß § 100 Absatz 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)
- Anfechtung eines Arbeitsvertrages wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung