Innerbetrieblicher Schadensausgleich: Diese Haftungsstufen gibt es

Das Modell des von der höchstrichterlichen Rechtssprechung entwickelten innerbetrieblichen Schadensausgleichs orientiert sich in erster Linie an dem jeweiligen Grad des Arbeitnehmerverschuldens. Im Interesse einer "Einzelfallgerechtigkeit" im Sinne einer gerechten Aufteilung der Haftungsanteile zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber hat die Rechtsprechung bei Pflichtverletzungen im Arbeitsverhältnis daher ein dreistufiges Haftungsmodell entwickelt. Danach ist der innerbetriebliche Schadensausgleich wie folgt vorzunehmen:

 

  • Keine Haftung bei leichtester Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers
  • Anteilige Haftung bei mittlerer Fahrlässigkeit
  • Bei grober Fahrlässigkeit und Vorsatz in der Regel volle Haftung.

Kein Regress: Hier liegt leichte Fahrlässigkeit vor Die Haftungsstufe der leichtesten Fahrlässigkeit liegt vor, wenn es sich um geringfügige und leicht entschuldbare Pflichtwidrigkeiten handelt, die jedem Arbeitnehmer unterlaufen können. In diesen Fällen können Sie von Ihren Mitarbeitern überhaupt keinen Regress fordern.

Beispiel:

"Der eilige Arzneimittelfahrer" Joachim B. fährt für ein Pharmaunternehmen schon länger eilige Arzneimittel für Apotheken aus. Während einer Auslieferungsfahrt beschädigt er beim Einparken die Felge seines Kleinbusses.

Folge:

Hier hat Joachim B. eine nur geringfügige Pflichtwidrigkeit begangen. Er haftet Ihnen gegenüber nicht nach § 823 BGB für die Eigentumsverletzung an der Felge. Sie müssen als Arbeitgeber immer daran denken, dass Sie von Ihrem Mitarbeiter bei leichtester Fahrlässigkeit niemals Geld verlangen können. Eine solche liegt vor, wenn es sich um eine geringfügige Pflichtwidrigkeit handelt, die sozusagen jedem Arbeitnehmer "unterlaufen" kann.

Beachte:

Diese Haftungsstufe hat vor allem bei dem "Klassiker" Kraftfahrzeugschäden eine große betriebliche Relevanz. Der Arbeitnehmer hat in solchen Fällen aufgrund des geringen Grades des Schuldvorwurfs ("Ausrutscher") also Ihnen als Arbeitgeber gegenüber stets einen vollständigen Freistellungsanspruch. Nur anteilige Haftung: Hier liegt mittlere Fahrlässigkeit vor Bei mittlerer Fahrlässigkeit ist der Haftungsanteil des Arbeitnehmers unter Berücksichtigung aller Umstände zu bestimmen. Gerade in dem Bereich Kraftfahrzeugschäden (Nutzung von Geschäftsfahrzeugen) lässt sich hier nur schwer ein "roter Faden" der Rechtsprechung aufgrund der meistens "kasuistischen" Rechtsprechung erkennen. Eine große Rolle spielt hier nach der Rechtssprechung insbesondere die Versicherbarkeit (z.B. von Geschäftsfahrzeugen) durch den Arbeitgeber, die Höhe des Verdienstes, das Vorverhalten des Arbeitnehmers sowie seine sozialen Verhältnisse (BAG, Urteil vom 24.11.1984 - 8 AZR 524/82, in: DB 1988, Seite 1603).

Beispiel:

"Der Ladekranführer will hoch hinaus" Bono K. hat es versäumt, einen Ladekran vollständig einzufahren und kollidiert deshalb mit einer Brücke.

Folge:

In diesem Fall hat die Rechtsprechung keine grobe Fahrlässigkeit angenommen (BAG, Urteil vom 08.02.89 - 2 AZR 346/88 in: NJW 1989, Seite 1354). Der Haftungsanteil von Bono K. ist also unter Berücksichtigung aller Umstände zu bestimmen (mittlere Fahrlässigkeit). Als Arbeitgeber müssen Sie also bei der Haftungsstufe der mittleren Fahrlässigkeit beachten, dass anteilige Haftung keineswegs auch automatisch hälftige Haftung bedeutet und die vom Bundesarbeitsgericht gewollte Einbeziehung aller Umstände hier das Ergebnis eines Haftungsprozesses meistens unvorhersehbar macht. Volle Haftung: Hier liegt grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz vor Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn eine besonders schwerwiegende und auch subjektiv unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegt. Hier hat der Arbeitnehmer die Sorgfalt außer Acht gelassen, die sich jedem aufdrängt.

Beispiel:

"Der spendable Restaurantleiter " Der Restaurantleiter Bruno B. hat auf der Theke die mit Einnahmen gefüllte Kellnerbrieftasche unverschlossen zurückgelassen, um zu telefonieren.

Folge:

Das Verhalten von Bruno B. stellt eine besonders schwerwiegende und auch subjektiv unentschuldbare Pflichtverletzung und nicht nur ein Augenblicksversagen dar. Sein Verhalten war demnach grob fahrlässig (vgl. auch BAG, Urteil vom 15.11.01 - 8 AZR 95/01, in: NZA 2002, S. 612). Sie können als Arbeitgeber also immer dann von einer groben Fahrlässigkeit ausgehen, wenn Ihr Arbeitnehmer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in einem solch schwerem Maß verletzt hat, dass er sich den Vorwurf gefallen lassen muss, "jedem einleuchtendende" Regeln nicht beachtet zu haben. Der Arbeitnehmer muss bei der Haftungsstufe der groben Fahrlässigkeit also insbesondere das "gewöhnliche Maß" der Fahrlässigkeit (§ 276 BGB) erheblich überschritten("getoppt") haben (BAG, Urteil vom 01.12.1988, 8 AZR 65/84). In diesen Fällen haftet Ihr Arbeitnehmer in der Regel voll. Sie sollten als Arbeitgeber aber bedenken, dass die Rechtssprechung auch hier dazu "neigt" ("Einzelfallgerechtigkeit") eine Vielzahl weiterer Aspekte zu berücksichtigen.

Beachte:

Selbst bei grober Fahrlässigkeit sind weitere Haftungserleichterungen zum Vorteil des Arbeitnehmers nicht völlig ausgeschlossen. Auch hier ist wieder eine "Einzelfallbetrachtung" dahingehend vorzunehmen, ob zwischen Schadensrisiko der Tätigkeit einerseits und Verdienst des Arbeitnehmers andererseits ein krasses Missverhältnis besteht. Intention der Rechtsprechung ist nämlich hierbei nicht die Existenz des Arbeitnehmers im Falle einer vollen Inanspruchnahme zu bedrohen. Vorsatz als "intensivster Schuldvorwurf" setzt das Wissen und Wollen des Schadens voraus. Nicht ausreichend ist also der vorsätzliche Verstoß gegen Weisungen, solange nicht zusätzlich noch seitens des Arbeitnehmers Vorsatz hinsichtlich des Schadens gegeben ist (BAG, Urteil vom 18.04.02, 8 AZR 2348/01 in: NZA 2003, S. 37).

Beispiel:

"Der anarchistische Kellner" Friedrich Sch. hat sich über die Pläne seines Arbeitgebers B., das Restaurant an eine große internationale Restaurantkette zu verkaufen geärgert. Um es B. mal " richtig zu zeigen" lässt er die Kellnerbrieftasche mit den bisherigen Tageseinnahmen auf der Theke liegen und geht, in der Hoffnung, dass sich schon jemand "bedienen" werde, in die Küche. Als er zurückkommt ist die Kellnerbrieftasche tatsächlich abhanden gekommen. Restaurantbesitzer B. verlangt von Friedrich Sch. die Erstattung des vollen abhanden gekommenen Betrages.

Folge:

Eine Beschränkung der Haftung scheidet aus. Friedrich Sch. handelte mit Vorsatz, da sich sein Wissen und Wollen nicht nur auf den Pflichtenverstoß sondern auch noch auf den schädigenden Erfolg bezog. Er hat das Abhandenkommen der Brieftasche zumindest billigend in Kauf genommen. Bei Vorsatz greift also stets eine volle Haftung. Nach der im allgemeinen Zivilrecht geltenden Lehre setzt das intellektuelle Vorsatzelement voraus, dass Ihr Arbeitnehmer den rechtswidrigen Erfolg vorausgesehen und gewollt hat (sog. dolus directus) oder ihn zumindest billigend in Kauf genommen hat (sog. dolus eventualis).

Auch auf diese Umstände kommt es bei der Schadenaufteilung der Höhe nach an

Auch wenn im Hinblick auf die vielfältigen Schadensursachen von keinem abschließenden Katalog gesprochen werden kann, zählen zudem über den Grad des Verschuldens hinaus noch folgende Aspekte: Gefahrgeneigtheit der Arbeit

  • Betriebsrisiko des Arbeitgebers
  • Organisationsverantwortung des Arbeitgebers hinsichtlich der Betriebsabläufe
  • ein vom Arbeitgeber einkalkuliertes oder durch Versicherung abgedecktes Risiko
  • Höhe des Schadens
  • Höhe des Arbeitsentgelts, in dem möglicherweise eine Risikoprämie enthalten ist
  • bisheriges Verhalten des Arbeitnehmers
  • Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb
  • persönliche Verhältnisse des Arbeitnehmers (Dauer seiner Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Familienverhältnisse)

Die vom BAG geforderte "Einzelfallgerechtigkeit" führt dazu, dass keine rechtssichere Aussage über die jeweiligen Haftungsanteile gemacht werden kann, vielmehr jeweils eine individuelle Quotelung denkbar ist.

Beachte:

Wann bei einem Schaden an Sachen des Arbeitgebers (z.B. einem Dienst-Pkw) leichte, mittlere oder grobe Fahrlässigkeit vorliegt, ist stets eine Frage des konkreten Einzelfalls. Grobe Fährlässigkeit wurde bei Kfz-Schäden insbesondere in folgenden Fällen angenommen:

  • Fahruntüchtigkeit infolge Alkoholgenusses
  • Handybenutzung während der Fahrt
  • Nichtbeachtung einer auf "Rot" geschalteten Ampel
  • Mangelnde Fahrpraxis- soweit sie dem Arbeitgeber gegenüber verschwiegen wird
  • Übermüdung
  • Unangemessene Geschwindigkeit
  • Vorfahrtsverletzung

Beachte:

Sie sind jedoch gegenüber einem Arbeitnehmer, der ein betriebseigenes Kraftfahrzeug zu führen hat, nicht verpflichtet eine Kfz-Kaskoversicherung abzuschließen(BAG, Urteil vom 24.11.1987 - 8 AZR 66/82, in: AP § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers Nr. 92). Die Kfz-Haftpflichtversiche-rung ist dahingehend bereits kraft Gesetzes abzuschließen (§ 1 Pflichtversicherungsgesetz).

Beachte:

Sie müssen als Arbeitgeber auch daran denken, dass bei der Bestimmung der Haftungsquote Ihres Arbeitnehmers auch die Organisationsverantwortung des Arbeitgebers für die betrieblichen Abläufe von Bedeutung ist (Mitverschulden).

Beispiel:

"Die anfällige Stanzmaschine" Arbeitgeber R. hat keine Vorrichtungen für den Fall von Produktionsstörungen getroffen. Der schadensverursachende Bedienungsfehler von Harald S. an der Stanzmaschine wird daher nicht bemerkt .

Folge:

Arbeitgeber R. hat gemäß § 254 BGB (Mitverschulden) auch für seine Organisationsfehler einzustehen. Bei der Bestimmung der Haftungsquote bei Harald S. spielt also eine Rolle, dass vom Arbeitgeber sein Betrieb nicht so organisiert, dass Schadensbegrenzungen gewährleistet sind. In diesen Bereich fällt die Überlassung von einwandfreiem Arbeitsgerät und Material ebenso wie eine sorgfältige und gründliche Aufklärung und Einweisung des Arbeitnehmers (BAG, Urteil vom 16.02.1995, 8 AZR 493/93). Sie sollten als Arbeitgeber daher beachten, dass Organisationsfehler im Rahmen der Arbeitnehmerhaftung im Einzelfall auch zu Lasten des Arbeitgebers zu berücksichtigen sind und zu einem Mitverschulden (§ 254 BGB ) Ihrerseits führen können. Denn auch Sie als Arbeitgeber sind verpflichtet, durch eine wirksame Gestaltung der Arbeitsabläufe zu gewährleisten, dass Schäden möglichst vermieden werden.

Beachte:

Auch bei Vorliegen eines Haftungstatbestands sowie einer nach dem Modell des innerbetrieblichen Schadensausgleichs festgestellten Haftungsquote kommt zusätzlich noch eine Begrenzung der Haftungssumme in Betracht. So verlangt das BAG stets eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls (BAG, Urteil vom 22.051997, 8 AZR 893/95). Dies führt in der unterinstanzlichen Praxis der Arbeitsgerichte in der Tendenz dazu, die Haftung der Arbeitnehmer bei mittlerer Fahrlässigkeit auf ein halbes bis ein Monatsgehalt (Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg in: LAGE § 611 Arbeitnehmerhaftung Nr.14) und bei grober Fahrlässigkeit die Haftung unter dem Gesichtspunkt der Existenzgefährdung auf bis zu drei Monatsgehälter zu begrenzen (LAG Köln in LAGE 3 611 BGB Gefahrengeneigte Arbeit NR.10).

Arbeitgeber-Tipp:

Wenn für Sie als Arbeitgeber feststeht ob und in welcher Höhe Sie von ihrem Arbeitnehmer Schadensersatz verlangen können, so können Sie bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis diesen auf zwei Wegen durchsetzen. So kommt hier zum einen der Einbehalt des Schadensersatzbetrages vom laufenden Arbeitsentgelt in Betracht, wobei Sie bei einer solchen Aufrechnung (§§ 387 ff BGB) natürlich jeweils die Pfändungsfreigrenzen der §§ 850 ff der Zivilprozessordnung (ZPO) beachten müssen. Zum anderen empfiehlt sich auch die Möglichkeit der gerichtlichen Durchsetzung außerhalb der Entgeltabrechnung, die für Sie als nur dann der einzige Weg ist, wenn das Arbeitsverhältnis bereits abgerechnet und beendet ist.

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