Entschädigungsanspruch wegen Behinderung nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG – Kenntnis des Arbeitgebers ( BAG 26.09.2013, Aktz: 8 AZR 650/12 )

Entschädigungsanspruch wegen Behinderung nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG – Kenntnis des Arbeitgebers ( BAG 26.09.2013, Aktz: 8 AZR 650/12 )

Die Parteien stritten über einen Entschädigungsanspruch des Klägers, der sich wegen seiner Behinderung benachteiligt sieht.

Der Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 60. Er ist ausgebildeter Opernsänger und bewarb sich bei der beklagten Stadt auf die ausgeschriebene Stelle als Erster Tenor im Chor der Oper per Email. Die das Bewerbungsschreiben darstellende E-Mail enthielt keinen Hinweis auf die Schwerbehinderung des Klägers. Lediglich dem beigefügten Lebenslauf war unter dem achtem Unterpunkt „Spezielle Qualifikation“ als letztes hinter fundierten Softwarekenntnissen u.a. die Schwerbehinderung zu entnehmen.

Der Kläger machte geltend, dass trotz seines ausdrücklichen Hinweises auf die Schwerbehinderung die Beklagte wesentliche Verpflichtungen nach § 81 Abs. 1 SGB IX nicht erfüllt habe. Dies indiziere nach § 22 AGG die Vermutung einer Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung. Die Beklagte indes verweist darauf, die Schwerbehinderung nicht zur Kenntnis genommen zu haben und die Auswahlentscheidung ausschließlich nach künstlerischen Gesichtspunkten getroffen zu haben.  

Das BAG hat sowohl die Revision als auch die Klage des Klägers als unbegründet erachtet.

Für eine Diskriminierung wegen seiner Schwerbehinderung hat der Kläger den erforderlichen Kausalzusammenhang nicht dargelegt. Im Einzelnen:

Der Kläger hat mit der Ablehnung seiner Bewerbung eine weniger günstige Behandlung erfahren als der ausgewählte erfolgreiche Bewerber. Der Kläger war objektiv für die Stelle geeignet. Für die Beurteilung der objektiven Eignung ist nicht nur auf das formelle und bekannt gegebene Anforderungsprofil, das der Arbeitgeber erstellt hat, zurückzugreifen. Maßgeblich sind vielmehr die Anforderungen, die der Arbeitgeber an einen Bewerber in redlicher Weise stellen durfte. Zwar vermag der Arbeitgeber über den einer Stelle zugeordneten Aufgabenbereich und die dafür geforderte Qualifikation des Stelleninhabers grundsätzlich frei zu entscheiden. Durch überzogene Anforderungen, die nach der im Arbeitsleben herrschenden Verkehrsanschauung unter keinem nachvollziehbaren Gesichtspunkt durch die Erfordernisse der wahrzunehmenden Aufgaben gedeckt sind, darf er allerdings die Vergleichbarkeit der Situation nicht willkürlich gestalten und dadurch den Schutz des AGG de facto beseitigen.

Die Beklagte lud ihn wegen seiner bestehenden generellen, objektiven Eignung daher zu einem ersten Vorsingen ein. Dass der Kläger im weiteren Bewerbungsgang dann nicht in die Endausscheidung kam, beruht auf dem Auswahlverfahren und damit letztlich auf dem von der Beklagten zu verfolgenden Prinzip der Bestenauslese.

Die Ablehnung erfolgte jedoch nicht „wegen“ der Behinderung. Der Kausalzusammenhang zwischen benachteiligender Behandlung und dem Merkmal der Behinderung ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an die Behinderung anknüpft oder durch diese motiviert ist. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund – die Behinderung – das ausschließliche Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist. Ausreichend ist vielmehr, dass das verpönte Merkmal Bestandteil eines Motivbündels ist, welches die Entscheidung beeinflusst.

Nach § 22 AGG genügt ein erfolgloser Bewerber seiner Darlegungslast, wenn er Indizien vorträgt, die seine Benachteiligung wegen eines unzulässigen Merkmals vermuten lässt. Die Verletzung von Verfahrens- und Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen aus dem SGB IX kann grundsätzlich die Vermutungswirkung des 3 22 AGG herbeiführen.

Die Verletzung derartiger Pflichten löst aber nur dann eine Indizwirkung iSd. § 22 AGG aus, wenn der Beklagten die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers bekannt gewesen ist oder sie sich aufgrund der Bewerbungsunterlagen diese Kenntnis hätte verschaffen können. Soweit dem Arbeitgeber die Schwerbehinderteneigenschaft nicht nachweislich schon bekannt oder offensichtlich ist, muss der Bewerber den Arbeitgeber hierüber informieren. Dies hat regelmäßig im Bewerbungsschreiben selbst unter Angabe des GdB, gegebenenfalls einer Gleichstellung zu geschehen. Wird die Information im Lebenslauf angegeben, so hat dies an hervorgehobener Stelle und deutlich, etwa durch eine besondere Überschrift hervorgehoben, zu geschehen. Im Falle einer Behinderung oder Schwerbehinderung wird ein Bewerbermerkmal mitgeteilt, über das nicht jede Bewerberin/jeder Bewerber verfügt. Durch den Hinweis sollen besondere Förderpflichten des Arbeitgebers ausgelöst werden. Wegen der Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme auf die Interessen und Rechte des Vertragspartners ist auch bei einer Bewerbung der Arbeitgeber über die besondere Situation des Bewerbers klar und eindeutig zu informieren. Daher sind „eingestreute“ oder unauffällige Informationen, indirekte Hinweise in beigefügten amtlichen Dokumenten, eine in den weiteren Bewerbungsunterlagen befindliche Kopie des Schwerbehindertenausweises etc keine ordnungsgemäße Information des angestrebten Vertragspartners.

Der Hinweis des Klägers zu seiner Schwerbehinderung erfolgte nicht ordnungsgemäß, die Beklagte hatte und musste keine Kenntnis von dieser Eigenschaft haben.

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Roswitha Kranefuss

Fachanwältin für Arbeitsrecht, 

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