Roswitha Kranefuss

Roswitha Kranefuss

Fachanwältin für Arbeitsrecht, 

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Außerordentliche Kündigung – häufige Kurzerkrankungen ( LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27.08.2014, Aktz: 15 Sa 825/13)

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist.

Die Kläger ist seit dem 1. Januar 1981 bei der Beklagten beschäftigt. Aufgrund tarifvertraglicher Regelungen ist sie ordentlich unkündbar. Auf dieser Basis ist die Beklagte auch verpflichtet, Entgeltfortzahlung in voller Höhe bis zum Ende der 26. Woche zu leisten.

Seit dem Jahr 2000 war die Klägerin wiederholt arbeitsunfähig auch über deutlich mehr als 26 Wochen in Folge erkrankt. Zuletzt war die Klägerin durchgängig vom 18. Februar 2011 bis zum 20. April 2012 arbeitsunfähig erkrankt. Eine Operation wegen eines Schulterengpasssyndroms im Februar 2011 führte zu keiner Besserung. Die Parteien führten verschiedenen Gesprächen, in denen die Klägerin keinen konkreten Termin bzgl. der Wiederaufnahme der Arbeit mitteilen konnte.

Die Beklagte kündigte am 24. Oktober 2011 das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit einer sozialen Auslauffrist zum 31.12.2012. In der Zeit vom 14.11. bis 26.11.2011 befand sich die Klägerin in teilstationärer Behandlung u.a. wegen einer depressiven Störung im Krankenhaus. Am 12. März 2012 wurde die Klägerin erneut an der Schulter operiert. Von April 2012 bis Dezember 2012 arbeitete die Klägerin ohne dass weitere Arbeitsunfähigkeitszeiten auftraten.

Das Arbeitsgericht Cottbus hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen und einen Kündigungsgrund nach § 626 BGB bejaht. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat die Entscheidung abgeändert und der Klage stattgegeben.

Hinweis:

Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit kann ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB sein. Eine außerordentliche Kündigung kommt jedoch nur in eng begrenzten Fällen in Betracht, etwa wenn die ordentliche Kündigung aufgrund tarifvertraglicher Vereinbarungen ausgeschlossen ist. Das BAG prüft die Wirksamkeit einer auf häufigen Kurzerkrankungen gestützten Kündigung grundsätzlich in drei Schritten. Im Kündigungszeitpunkt müssen objektive Tatschen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Hierbei kommt häufigen Kurzerkrankungen in der Vergangenheit ( grds Zeitraum von drei Jahren) indizielle Bedeutung für eine entsprechende künftige Entwicklung zu – 1. Stufe. Im Rahmen der Prüfung der 2. Stufe muss festgestellt werden, ob die prognostizierten Fehlzeiten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Diese kann sich aus Betriebsablaufstörungen aber auch aus wirtschaftlichen Belastungen, etwa durch die zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten für einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen ergeben. Auf der Ebene der 3. Stufe ist dann im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob diese Beeinträchtigung vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen. Bei einer außerordentlichen Kündigung ist dieser Prüfungsmaßstab auf allen drei Stufen erheblich strenger.

Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts kann bei Anwendung dieser Grundsätze nicht festgestellt werden, dass ein Grund für eine außerordentliche Kündigung im Sinne des § 626 BGB vorliegt.

Zu berücksichtigen sei zunächst, dass Kurzerkrankungen wie akute Infektionen der oberen Atemwege, Bronchitis, Magen-Darm-Infektion und Virusinfektion nach Auskunft des Sachverständigen allgemein ausgeheilt sind. Prognosefähig sind jedoch Erkrankungen wg der depressiven Störungen und der Probleme im Schulterbereich.

Die Klägerin war in den letzten drei Jahren insgesamt an 366 Tagen arbeitsunfähig erkrankt, durchschnittlich pro Jahr demnach 17,4 Wochen. Entgeltzahlungen musste die Beklagte an 308 Tagen leisten.

Dies führt nach Ansicht des LArbG nicht zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung. Das BAG habe selbst Fehlzeiten in Höhe von 18,81 nicht ausreichen lassen. Ebenso habe aus dem Vortrag der Beklagten nicht abgeleitet werden können, dass die prognostizierten Fehlzeiten künftig zu nicht mehr hinnehmbaren Betriebsablaufstörungen führen werden. Die Beklagte habe weder vorgetragen, dass es insofern zur Ableistung von Überstunden gekommen sei, noch das von den übrigen Beschäftigungen überobligatorische Leistungen eingefordert worden seien. Vertretungsbedarf und ggf. Verzögerungen im Betriebslablauf habe das BAG als nicht außergewöhnlich angenommen.

Auch die allgemeine Interessenabwägung fällt zu Gunsten der Klägerin aus, so dass auch aus diesem Grunde die ausgesprochene außerordentliche Kündigung unwirksam ist. Hierbei ist zu Gunsten der Beklagten zu berücksichtigen, dass diese über einen langen Zeitraum ebenfalls von mehr als 10 Jahren erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten hingenommen hat, ohne dass eine Kündigung ausgesprochen wurde. Auch hier hat die Beklagte zahlreiche Krankengespräche geführt und der Klägerin auch unter Abänderung des Arbeitsvertrages einen anderen Arbeitsplatz zugewiesen. Insofern hat sie versucht, zu einer Reduzierung der krankheitsbedingten Fehlzeiten der Klägerin beizutragen. Trotzdem überwiegen die Interessen der Klägerin. Ihrer Betriebszugehörigkeit von mehr als drei Jahrzehnten, ihrem Alter von damals 53 Jahren und den mit beiden Merkmalen verbundenen Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt kommt ganz erhebliches Gewicht zu.    

Mitbestimmung beim Gesundheitsschutz ( BAG, Beschluss vom 30.09.2014, Aktz.: 1 ABR 106/12)

Die Beteiligten streiten über Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei der Durchführung der auf ein externes Unternehmen übertragenen Gefährdungsbeurteilung und Beschäftigungsunterweisung nach dem Arbeitsschutzgesetz.

Der Betriebsrat hat bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung iSd. § 5 ArbSchG und der Unterweisung der Beschäftigten iSd. § 12 Abs. 1 ArbSchG gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG mitzubestimmen.

Das BAG hat klar gestellt, dass die hiermit erfolgte Beauftragung eines externen Unternehmens dem nicht entgegen steht.

In mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten kann sich der Arbeitgeber Dritten gegenüber grundsätzlich nicht in einer Weise binden, die die Mitregelungsbefugnis des Betriebsrats faktisch ausschließen. Vielmehr muss der Arbeitgeber durch eine entsprechende Vertragsgestaltung sicherstellen, dass die ordnungsgemäße Wahrnehmung des Mitbestimmungsrechts gewährleistet ist.

Nach § 13 Abs. 2 ArbSchG kann der Arbeitgeber zuverlässige und fachkundige Personen schriftlich damit beauftragen, ihm obliegende Aufgaben nach dem ArbSchG, d.h. auch die Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG und die Unterweisung der Beschäftigten nach § 12 ArbSchG, in eigener Verantwortung wahrzunehmen. Die Beauftragung ändert jedoch nichts daran, dass bei der Umsetzung dieser gesetzlichen Handlungspflichten ein Handlungsspielraum besteht, bei dessen Ausfüllung der Betriebsrat im Interesse der betroffenen Arbeitnehmer zu beteiligen ist. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht „im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften“ und entfällt allenfalls, soweit etwa eine verbindliche behördliche Anordnung vorliegt, die keinen Handlungsspielraum belässt.

Nicht Anderes folgt aus der Entscheidung des Senats vom 18. August 2009 (1 ABR 43/08). Der Senat hat darin erkannt, dass der Betriebsrat bei der Übertragung der Durchführung von Gefährdungsbeurteilung oder Unterweisungen auf externe Dritte nach § 13 Abs. 2 ArbSchG kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG, weil es sich dabei typischerweise um nicht mitbestimmungspflichtige Einzelmaßnahmen handelt.

Rückzahlung von Fortbildungskosten (LAG Rheinland-Pfalz v. 31.07.2014, Aktz,: 3 Sa 203/14)

Die Parteien streiten darüber, ob der auf Lohnzahlung klagende Kläger zur Rückzahlung von Fortbildungskosten an die Beklagte verpflichtet ist.

Der Arbeitsvertrag enthielt u.a. folgende Regelung: „Der AG übernimmt für Fortbildungskosten die Fortzahlung der vollen Bezüge sowie die vollen Lehrgangskosten. Der AN ist zur Rückzahlung der Lehrgangskosten verpflichtet, wenn er das Arbeitsverhältnis kündigt. Für je 6 Monate der Beschäftigung nach dem Ende des Lehrganges werden von den Lehrgangskosten ¼ der Rückzahlungsbeträge erlassen.“

Der Kläger nahm an einer CAD-Schulung teil. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund einer Eigenkündigung des Klägers.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts dahingehend, dass die Klage des Klägers voll umfänglich begründet ist.

Mit dem Arbeitsgericht ist vorliegend davon auszugehen, dass die Beklagte sich gegenüber den unstreitigen Entgeltansprüchen des Klägers nicht auf die arbeitsvertragliche Rückzahlungsklausel von Lehrgangskosten berufen kann.

Eine Rückzahlungsklausel, die nicht danach differenziert, wessen Verantwortungs- und Risikobereich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zuzurechnen ist und eine Erstattungspflicht auch dann vorsieht, wenn dieser wegen eines Fehlverhaltens des Arbeitgebers zur Eigenkündigung „berechtigt“ wäre, ist folglich insgesamt unwirksam. Dabei ist es nicht maßgeblich, ob vorliegend ein solcher Lebenssachverhalt gegeben ist. Denn die AGB-Kontrolle führt als ex-ante-Kontrolle schon dann zur Unwirksamkeit der Klausel, wenn sie auch nur in einer der insgesamt von der Klausel erfassten denkbaren Fallgestaltungen unangemessen wäre, also insbesondere auch unabhängig davon, ob sich diese im konkreten Einzelfall dann auch tatsächlich verwirklicht hat oder nicht.

Hinzu kommt, dass unwirksam auch eine Klausel ist, die den Arbeitnehmer mit Ausbildungskosten belastet, obwohl er durch die Ausbildung keinen beruflichen Vorteil erlangt.

Schließlich liegt vorliegend auch ein Verstoß gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB vor. Denn dem genügt eine Klausel über die Erstattung von Fortbildungskosten nur dann, wenn die durch die Fortbildung entstehenden Kosten dem Grunde und der Höhe nach im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren bezeichnet sind.

Betriebsausschuss – unzureichende Unterrichtung – vorübergehende Überlassung – Übertragung (LArbG Berlin-Brandenburg v. 21.08.2014, 10 TaBV 671/14)

Die Beteiligten streiten in der Beschwerdeinstanz über die Einstellung von zwei Leiharbeitnehmern in Form der Weiterbeschäftigung vom 1. Oktober 2013 bis 30. September 2014 sowie deren sachliche Dringlichkeit.

Mit Beschluss vom 30.11.2012 hat der Betriebsrat eine Geschäftsordnung beschlossen. Dabei wurden dem Betriebsausschuss die Aufgaben aus §§ 40, 92,93,95.99,100,102,87 Abs. 1 Ziffer 2 und 3 BetrVG (ausgenommen Betriebsvereinbarungen) übertragen.

Der Betriebsausschuss des Betriebsrats verweigerte die Zustimmung unter anderem unter Hinweis auf die unzureichende Unterrichtung über die Auswirkung der personellen Maßnahmen auf die Stammbelegschaft, insbesondere wie lange und in welchem Umfang der zusätzliche Beschäftigungsbedarf bestehe und weshalb dieser Bedarf weder jetzt noch in Zukunft mit eigenen Mitarbeitern besetzt werden könne. Er verlangte weitere Informationen, verweigerte aber vorsorglich schon die Zustimmung zur Weiterbeschäftigung, da es sich um einen dauerhaften Beschäftigungsbedarf handele und der Arbeitgeber nicht die Verpflichtung nach § 81 SGB IX zur Prüfung, ob geeignete schwerbehinderte Menschen zur Verfügung stünden eingehalten habe.

Der Arbeitgeber meint dass die Zustimmungsverweigerung bereits unwirksam sei, da die Übertragung der Rechte nach §§ 99 ff BetrVG auf den Betriebsausschuss zu weitgehend seiner Rechte und Pflichte entledigt habe, weil nahezu der gesamte Aufgabenbereich auf den Betriebsausschuss verlagert worden sei. Die Stelle sei in die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit ohne Ergebnis eingestellt worden und es haben sich kein geeigneter Schwerbehinderter gemeldet. Damit habe der Arbeitgeber seine Pflichten aus § 81 SGB IX erfüllt.

Das Landesarbeitsgericht bestätigte das Arbeitgericht mit der Entscheidung, dass die vom Betriebsausschuss im Namen des Betriebsrats verweigerte Zustimmung zur Einstellung von zwei Leiharbeitnehmern nicht zu ersetzen war.

Der Betriebsrat hat zu Recht die Beteiligung in personellen Angelegenheiten auf den Betriebsausschuss übertragen. Der Betriebsausschuss kann gemäß § 27 Abs. 2 Satz 2 BetrVG grundsätzlich mit jeder Aufgabe ausschließlich mit dem Abschluss von Betriebsvereinbarungen betraut werden. Richtig ist, dass der Betriebsrat eine immanente Schranke zu beachten hat. Er darf sich nicht aller Befugnisse entäußern und muss in einem Kernbereich der gesetzlichen Befugnisse als Gesamtorgan zuständig bleiben.

Hier hat der Betriebsrat den Bereich der Mitwirkungsrechte im personellen Bereich auf den Betriebsausschuss übertragen. Dazu kommen lediglich noch die Bereiche Arbeitszeit und Sachmittel. Bereits der gesamte Bereich der wirtschaftlichen Mitbestimmung und nahezu der gesamte Bereich der Mitbestimmung ihn sozialen Angelegenheiten verbleibt beim Betriebsrat. Auch der Bereich der Gestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsablaufs und der Arbeitsumgebung sowie der gesamte Bereich der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten verbleibt beim Betriebsrat.

Die fehlende Zustimmung war deshalb nicht zu ersetzen, weil die Frist zur Beteiligung des Betriebsrats hatte vorliegend noch nicht zu laufen begonnen. Die Arbeitgeberin hat vorliegend versäumt, dem Betriebsrat trotz der ausdrücklichen Nachfrage eine konkrete Begründung mitzuteilen, aus der sich der konkrete Bedarf für zwei vorübergehende Beschäftigungen im Umfang von jeweils 12 Monaten ergab.          

Ungeachtet dessen hat der Betriebsrat die Zustimmung unter Hinweis auf § 81 Abs. 1 Satz 2 SGB IX und auf § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG zu Recht verweigert. Zweck der Prüfungspflicht des § 81 Abs. 1 SGB IX ist es, die Einstellung und Beschäftigung schwerbehinderte Menschen zu fördern. Der Arbeitgeber müsse Verbindung mit der Agentur für Arbeit aufnehmen, damit diese einen geeigneten schwerbehinderten Bewerber vorschlagen können. Falls der Arbeitgeber das nicht ausreichend geprüft habe, verstoße die Einstellung eines nicht schwerbehinderten Menschen gegen eine gesetzliche Vorschrift und gebe damit einen Grund, die Zustimmung zu verweigern. Der Arbeitgeber müsse auch prüfen, ob ein bei ihm bereits beschäftigter Mensch auf Die Stelle gesetzt werden könne. Die Verpflichtung gelte auch, wenn die Arbeit von Leiharbeitnehmern besetzt werde. Die Einstellung in der Online-Jobbörse ohne Vermittlungsauftrag genügt dem nicht.

Außerdem sah das LAG auch einen Zustimmungsverweigerungsgrund darin, dass es sich um Dauerarbeitsplätze gehandelt habe, die mit Leiharbeitnehmern besetzt werden sollten.

 

 

 

Unwirksame Bildung eines Wirtschaftsausschusses – Tendenzschutz ( BAG, Beschl. V. 22.7.2014 – 1 ABR 93/12)

Die Beteiligten streiten im Wesentlichen über die Bildung eines Wirtschaftsausschusses. Die Arbeitgeberin betreibt in der Rechtsform einer gemeinnützigen GmbH eine von der Bundesagentur für Arbeit anerkannte Werkstatt für behinderte Menschen iSv. §§ 136 ff SGB IX mit mehr als 100 Arbeitnehmern und etwa 550 behinderten Mitarbeitern.

Der Betriebsrat teilte der Arbeitgeberin mit Schreiben vom 3.7.2009 mit, er habe die Gründung eines Wirtschaftsausschusses beschlossen. Dem widersprach die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 23.07.2009 unter Berufung auf ihren Tendenzschutz.

Hinweis:

Nach § 106 I 1 BetrVG ist in allen Unternehmen mit mehr als einhundert ständig beschäftigten Arbeitnehmern ein Wirtschaftsausschuss zu bilden. Die Vorschriften der §§ 106-110 BetrVG sind nach § 188 I 2 Hs. 1 BetrVG nicht auf Unternehmen anzuwenden, die tendenzgeschützten Bestimmungen iSv. § 118 I 1 Nr. 1 BetrVG oder privilegierten Zwecken nach § 118 I 1 Nr. 2 BetrVG dienen. Dabei kommt es nur auf die Bestimmung oder den Zweck des Unternehmens an, weil der Wirtschaftsausschuss bei diesem und nicht beim Betrieb zu bilden ist.

Das BAG hat zunächst den Antrag, soweit die Arbeitgeberin mit ihm die Feststellung begehrt, dass ihr Betrieb ein Tendenzbetrieb ist, als unzulässig abgewiesen. Dieser Antrag ist nicht auf die Feststellung eines konkreten Rechtsverhältnisses iSd § 256 I ZPO gerichtet.

Der auf die Feststellung der Unwirksamkeit der Bildung des Wirtschaftsausschusses gerichtete Hauptantrag der Arbeitgeberin ist zulässig und begründet. Das Unternehmen dient unmittelbar und überwiegend karitativen Bestimmungen.

Ein Unternehmen dient karitativen Bestimmungen iSv. § 118 I 1 Nr. 1 BetrVG, wenn es den sozialen Dienst am körperlich oder seelischen leidenden Menschen zum Ziel hat und auf Heilung oder Milderung innerer oder äußerer Nöte des Einzelnen oder auf deren vorbeugende Abwehr gerichtet ist. Weitere Voraussetzung ist, dass die Tätigkeit des Unternehmens ohne Absicht der Gewinnerzielung erfolgt und der Unternehmer nicht ohnehin von Gesetzes wegen zu derartigen Hilfeleistungen verpflichtet ist.

Die Werkstatt bezweckt nichts anderes, als behinderten Menschen, die wegen der Art und Schwere ihrer Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Beschäftigung finden, eine angemessene berufliche Bildung anzubieten, ihre Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu erhöhen oder wiederzugewinnen sowie ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Zutreffend wurde weiter die Gewinnerzielungsabsicht der Arbeitgeberin verneint. Hierfür ist nicht erforderlich, dass die Hilfeleistung für leidende Menschen unentgeltlich oder allenfalls zu einem nicht kostendeckenden Entgelt geschieht. Es genügt vielmehr, dass der Träger des Unternehmens seinerseits mit seiner Hilfeleistung keine eigennützigen Zwecke im Sinne einer Gewinnerzielungsabsicht verfolgt.

 

Verlängerte Kündigungsfristen – Altersdiskriminierung ( BAG 18.09.2014, 6 AZR 636/13)

Die Parteien streiten über den Zeitpunkt, zu dem das Arbeitsverhältnis beendet worden ist.

Die Klägerin hat geltend gemacht, die Staffelung der Kündigungsfristen in § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB führe zu einer mittelbaren Altersdiskriminierung.

Das BAG entscheid, dass die von der Beschäftigungsdauer abhängige Staffelung der Kündigungsfristen in § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht das in Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union normierte Verbot der Altersdiskriminierung verletzt.

Die Staffelung der Kündigungsfristen durch § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB verfolgt das Ziel, länger beschäftigten und damit betriebstreuen, typischerweise älteren Arbeitnehmern durch längere Kündigungsfristen einen verbesserten Kündigungsschutz zu gewähren.

Der verstärkte (formelle) Kündigungsschutz von länger beschäftigten Arbeitnehmern unter Ausgleich der divergierenden, rechtmäßigen Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern an (formellen) Bestandsschutz auf der einen und personalwirtschaftlicher Flexibilität auf der anderen Seite ist entgegen der Ansicht der Klägerin unzweifelhaft ein beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitisches Ziel. Zwar schützt dies nicht den Bestand des Arbeitsverhältnisses, sie geben aber dem Arbeitnehmern eine längere Gelegenheit, einen neuen Arbeitsplatz zu finden.

 

Hinzuziehung eines Sachverständigen durch den Betriebsrat ( BAG 25.06.2014, Aktz.: 7 ABR 70/12)

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob der Betriebsrat die Hinzuziehung einer Rechtsanwaltskanzlei als Sachverständige beanspruchen kann.

Anlässlich verschiedener Umstellungen des Arbeitgebers hinsichtlich der Zahlung von Zuschlägen fasste der Betriebsrat den Beschluss, als sachverständige Beraterin eine Kanzlei gemäß § 80 Abs. 3 BetrVG zu einem Stundensatz von € 250,- zzgl. Auslagen zur Frage hinzuziehen, welche betriebsverfassungsrechtlichen Rechte dem Betriebsrat in Bezug auf die vom Arbeitgeber eingeführte „Leistungszulage“ zustehen und wie er diese Rechte durchsetzen kann. Ein weiterer Beschluss sieht eine entsprechende Beauftragung dazu vor, ob dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht in Bezug auf die einseitige Kürzung von Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschlägen durch die Arbeitgeberin sowie die Einführung einer neuen Art der Abrechnung nach Faktoren zusteht und wie er diese Rechte durchsetzen kann.

Das BAG führt hierzu wie folgt aus:

Nach § 80 Abs. 3 BetrVG kann der Betriebsrat bei der Durchführung seiner Aufgaben nach näherer Vereinbarung mit dem Arbeitgeber Sachverständige hinzuziehen, soweit dies zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist. Durch das Erfordernis einer Vereinbarung wird dem Arbeitgeber insbesondere die Möglichkeit eröffnet, im Hinblick auf die von ihm zu tragenden Kosten Einwendungen gegen die Beauftragung eines Sachverständigen zu erheben, dem Betriebsrat seinen Sachverstand oder eigene sachkundige Personen anzubieten und den Gegenstand der Beauftragung des Sachverständigen zuverlässig zu begrenzen.

Verweigert der Arbeitgeber eine solche Vereinbarung trotz der Erforderlichkeit der Hinziehung des Sachverständigen, so kann der Betriebsrat die fehlende Zustimmung des Arbeitgebers durch eine arbeitsgerichtliche Entscheidung ersetzen lassen.

Ein Rechtsanwalt kann Sachverständiger im Sinne des Gesetzes sein. Seine Heranziehung setzt voraus, dass er dem Betriebsrat spezielle Rechtskenntnisse vermitteln soll, die in der konkreten Situation, in der der Betriebsrat seine Aufgaben zu erfüllen hat, als erforderlich anzusehen sind. Nicht erforderlich ist die Hinzuziehung eines externen Sachverständigen, wenn der Betriebsrat die fehlende Sachkunde kostengünstiger als durch die Beauftragung des Sachverständigen verschaffen kann.

Einem Anspruch des Betriebsrats auf Abschluss einer Vereinbarung nach § 80 Abs. 3 BetrVG kann nicht entgegengehalten werden, die Beauftragung eines Sachverständigen sei grundsätzlich nicht erforderlich, wenn der Betriebsrat seine Mitglieder stattdessen an einer Schulung nach § 37 Abs. 6 BetrVG teilnehmen lassen könne. Ein Grundsatz, dass sich ein Betriebsrat zunächst das „Rüstzeug“ für die Wahrnehmung seiner Aufgaben durch Schulungen seiner Mitglieder verschaffen muss, bevor er einen Sachverständigen hinzuziehen kann, entspricht nicht den unterschiedlichen Funktionen der beiden Regelungen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats muss der Betriebsrat bei der Rechtsdurchsetzung unter mehreren gleich geeigneten Möglichkeiten die für den Arbeitgeber kostengünstigere auswählen. Soweit es um die rechtliche Beurteilung und mögliche Durchsetzung von Mitbestimmungsrechten in einer konkreten Konfliktsituation zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber geht, ist jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber seine Zustimmung zur Hinzuziehung eines Rechtsanwalts als Sachverständiger verweigert, die auf § 40 Abs. 1 BetrVG gestützte Mandatierung eines Rechtsanwalts regelmäßig der deutliche schnellere, effizientere und kostengünstigere Weg gegenüber einem gerichtlichen Verfahren, das darauf gerichtet ist, den Arbeitgeber zu verpflichten, die von ihm verweigerte Zustimmung zur Hinzuziehung eines Sachverständigen zu erteilen.

Der Betriebsrat kann, ohne dass es hierzu einer Vereinbarung mit dem Arbeitgeber bedürfte, in einem konkreten Konflikt mit dem Arbeitgeber einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung der in Betracht kommenden Mitbestimmungsrechte beauftragen. Er erhält dann alsbald eine rechtliche Beurteilung dieses Rechtsanwalts über das Bestehen und den Umfang von Mitbestimmungsrechten sowie über die Möglichkeiten und Chancen von deren Durchsetzung.

 

Bei diesem Verständnis wird § 80 Abs. 3 BetrVG nicht etwa jeglicher Anwendungsbereich entzogen. Die Bestimmung kommt vielmehr dann zur Anwendung, wenn es dem Betriebsrat nicht um die Durchsetzung von Rechten, sondern um die Vermittlung zur Interessenwahrnehmung erforderlicher Kenntnisse geht, etwa bei der Ausarbeitung des Entwurfs einer komplexen Betriebsvereinbarung oder eines schwierigen Interessenausgleichs.    

 

 

Betriebsbedingte Kündigung – Betriebsratsanhörung – Übergangsmandat – Restmandat ( BAG 8.5.2014, Aktz.: 2 AZR 1005/12) 

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.

Der Kläger war bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte hat ihren Betrieb iSd. § 613 a BGB auf die E GmbH übertragen. Der Kläger widersprach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis fristgemäß. Eine Beschäftigungsmöglichkeit bestand bei der Beklagten nach dem Betriebsübergang nicht mehr.

Der Kläger klagte gegen die Kündigung u.a. aufgrund einer fehlenden Betriebsratsanhörung.

Hierzu entschied das BAG mit folgenden Orientierungssätzen:

  1. Gemäß § 102 Abs.1 BetrVG ist die Anhörung des Betriebsrats Wirksamkeitsvoraussetzung für jede Kündigung durch den Arbeitgeber. Anzuhören ist der Betriebsrat des Betriebs, dem der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Kündigung angehört. Geht der vormalige Betrieb des Arbeitgebers, für den ein Betriebsrat errichtet war, als Ganzes auf einen anderen Betrieb über und widerspricht der Arbeitnehmer dem Betriebsübergang, endet aufgrund des Widerspruchs seine Zugehörigkeit zu diesem Betrieb.
  2. Der im übergegangenen Betrieb fortbestehende Betriebsrat ist nicht zur Kündigung anzuhören. Der Betriebsrat besitzt insoweit kein Restmandat iSv. § 21b BetrVG und auch kein Übergangsmandat iSv. § 21 a BetrVG.
  3. Bei einem Restmandat gemäß § 21 b BetrVG bleibt der Betriebsrat in Fällen, in denen der Betrieb durch Stilllegung, Spaltung oder Zusammenlegung untergeht, so lange im Amt, wie dies zur Wahrnehmung der damit im Zusammenhang stehenden Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte erforderlich ist. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn der Betrieb unter Wahrung seiner Identität auf den Betriebserwerber übergeht (§ 613 a BGB). In diesen Fällen behält der Betriebsrat uneingeschränkt das ihm durch Wahl übertragene Vollmandat zur Vertretung der dem Betrieb zugehörigen Arbeitnehmer und zur Wahrung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben.
  4. Widersprechen einzelne Arbeitnehmer dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber, ist dies für sich genommen kein Vorgang, an den ein Restmandat anknüpfen könnte. Insbesondere wird der Betrieb aufgrund solcher Erklärungen nicht „gespalten“.
  5. Ein Übergangsmandat setzt nach dem Wortlaut des Gesetzes eine Spaltung des Betriebs (§ 21 a Abs. 1 BetrVG) oder die Zusammenfassung von Betrieben oder Betriebsteilen zu einem Betrieb (§ 21 a Abs. 2 BetrVG) und damit gleichfalls eine Veränderung in der Betriebsorganisation voraus. Daran fehlt es bei der Übertragung des ganzen Betriebs auf einen anderen Rechtsträger. Der Betrieb wird nicht „gespalten“, sondern besteht unverändert fort. Für ein Übergangsmandat besteht kein Bedarf, soweit der Betriebsrat nach allgemeinen Regeln für den gesamten Betrieb regulär im Amt bleibt.
  6. Das gilt auch, wenn einzelne Arbeitnehmer wirksam dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses widersprechen und ihr Arbeitsverhältnis aufgrund dessen zum bisherigen Betriebsinhaber fortbesteht.    

 

 

Annahmeverzug – Arbeit auf Abruf ( BAG v. 24.09.2014, 5 AZR 1024/12)

Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs.

Der Kläger ist als Koch bei der Beklagten in deren Hotel-Restaurant beschäftigt. Es wurde „eine Festbeschäftigung mit flexibler Arbeitszeit nach den betrieblichen Erfordernissen vereinbart.“

Während der Kläger in den Monaten Mai und Juni 2009 länger als die regelmäßige tarifliche wöchentliche Arbeitszeit für Vollbeschäftigte von 39 Stunden, aber unter der tariflichen monatlichen Höchstarbeitszeit von 198 Stunden arbeitete, setzte ihn die Beklagte in der Folgezeit - in unterschiedlichem Umfang – nur kürzer ein. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses machte der Kläger Entgeltdifferenzen auf der Basis einer 48-Stunden-Woche unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs geltend.

In welchem zeitlichen Umfang der Arbeitgeber in Annahmeverzug geraten kann, richtet sich nach der arbeitsvertraglich vereinbarten oder – falls diese regelmäßig überschritten wird – nach der tatsächlich praktizierten Arbeitszeit.

Das BAG wies die Klage ab. Es führt aus, dass wenn die Arbeitsvertragsparteien ausdrücklich keine Vollzeitbeschäftigung, sondern eine Festbeschäftigung mit flexibler Arbeitszeit vereinbart und den Umfang der dabei zu leistenden Arbeitszeit offen gelassen haben, verbunden mit dem Fehlen jeglichen Hinweises auf eine bestimmte Dauer der Arbeitszeit, ein verständiger Arbeitnehmer bei einer derartigen Klausel redlicherweise nicht annehmen darf, es solle ein Vollzeitarbeitsverhältnis begründet werden. Er muss vielmehr davon ausgehen, dass nicht nur die Lage, sondern auch die Dauer der Arbeitszeit variabel ist und die regelmäßige Arbeitszeit im Durchschnitt des vereinbarten Beschäftigungsjahres unter der eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers bleibt, er also teilzeitbeschäftigt ( § 2 Abs. 1 Satz 2 TzBfG ) ist. In diesem Verständnis der Klausel haben die Parteien das Arbeitsverhältnis auch gelebt.

Aus § 12 Abs. 1 Satz 2 TzBfG – Arbeit auf Abruf - ergibt sich vorliegend keine andere Bewertung. Die Nichtvereinbarung einer bestimmten Dauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit bedingt nicht die Unwirksamkeit der Abrede, sondern führt dazu, dass nach § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG eine wöchentliche Arbeitszeit von zehn Stunden als vereinbart gilt und der Arbeitgeber nach § 12 Abs. 1 Satz 4 TzBfG die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers jeweils für mindestens drei aufeinanderfolgende Stunden in Anspruch nehmen muss. Für ein Unterschreiten dieser zum Schutze des Arbeitnehmers gesetzlich fingierten Mindestgrenzen bietet das Vorbringen des Klägers keinen Anhalt.  

Massenentlassung-Änderungskündigung ( BAG 20.02.2014, 2 AZR 346/12)

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und einen davon abhängigen Vergütungsanspruch.

Mit Schreiben vom 30. März 2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. Juni 2009. Sie berief sich auf Umsatzeinbußen und damit zusammenhängende Restrukturierungsmaßnahmen im Bereich AE. Daneben erklärte sie 17 weitere Kündigungen, darunter zwei Änderungskündigungen.

Das BAG entschied, dass die Kündigung sozial ungerechtfertigt sei iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG. Sie ist außerdem nach § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG iVm. § 134 BGB unwirksam. Die Beklagte hat eine Massenentlassungsanzeige nicht erstattet, obwohl eine solche erforderlich war.

Eine Kündigung ist iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, wenn der Bedarf für eine Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers im Betrieb voraussichtlich dauerhaft entfallen ist. Dazu müssen im Tätigkeitsbereich des Gekündigten mehr Arbeitnehmer beschäftigt sein, als zur Erledigung der zukünftig anfallenden Arbeiten benötigt werden. Regelmäßig entsteht ein Überhang an Arbeitskräften nicht allein und unmittelbar durch bestimmte wirtschaftliche Entwicklungen (Produktions- oder Umsatzrückgang etc.), sondern aufgrund einer – häufig durch diese Entwicklungen veranlassten – unternehmerischen (Organisations-)Entscheidung. Passt der Arbeitgeber im Fall eines Auftragsverlustes oder eines reduzierten Auftragsbestands die Anzahl der benötigten Arbeitnehmer an die verbliebene Arbeitsmenge an, kann sich daraus ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung ergeben, wenn der Arbeitsanfall – dauerhaft – so zurückgegangen, dass zukünftig für einen oder mehrere Arbeitnehmer kein Bedürfnis für eine Beschäftigung mehr besteht.

Der Arbeitgeber, den im Kündigungsschutzprozess nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen iSv. § 1 Abs. 2 KSchG trifft, muss anhand seiner Auftrags- und Personalplanung im Einzelnen darstellen, warum nicht nur eine kurzfristige Abwärtsbewegung vorliegt, sondern ein dauerhafter Auftragsrückgang zu erwarten ist. Die Möglichkeit einer „normalen“, im Rahmen des Üblichen liegenden Auftragsschwankung muss prognostisch ausgeschlossen sein. Sodann muss dargelegt werden, wie sich der Rückgang auf den Arbeitsanfall im Tätigkeitsbereich des Arbeitnehmers konkret auswirkt.

Vorliegend fehlte es an der Darlegung der tatsächlichen Arbeitsabläufe, des für sie benötigten Zeitaufwands und ihrer Beeinflussung durch den Auftragsrückgang. Ebenso wenig wurden Tatsachen vorgetragen und festgestellt, aufgrund derer die Beklagte annehmen durfte, die betroffenen Mitarbeiter seien in der Lage, Aufgaben des Klägers im Rahmen ihrer regelmäßigen Arbeitszeit zusätzlich zu ihren bisherigen Verpflichtungen zu übernehmen.

Die Kündigung ist auch deshalb unwirksam, weil die Beklagte die erforderliche Massenentlassungsanzeige nicht erstattet hat.

Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, bevor er in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmer 10 vH der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt; gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG ist die Anzeige schriftlich zu erstatten.

Die Anzeigepflicht nach § 17 Abs. 1 KSchG erfasst auch ordentliche Änderungskündigungen. Diese sind unabhängig davon „Entlassungen“, ob der Arbeitnehmer das ihm im Zusammenhang mit der Kündigung unterbreitete Änderungsangebot bei oder nach Zugang der Kündigung mit oder ohne Vorbehalt angenommen hat. Durch die Annahmeerklärung fällt weder die Anzeigepflicht – rückwirkend - weg, noch wird eine erfolgte Anzeige gegenstandlos.     

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