Arbeitskampf – Wechsel in OT-Mitgliedschaft vor Warnstreik – Schadensersatz

(BAG 19.06.2012, 1 AZR 775/10)   

Die Parteien streiten über Schadenersatzansprüche aus Anlass eines Warnstreiks. 

Die Klägerin ist mit Wirkung zum 30.03.2009 innerhalb des Arbeitgeberverbandes von einer Mitgliedschaft mit Tarifbindung in eine OT-Mitgliedschaft gewechselt.

 

Hinweis:

Notwendige Voraussetzung einer wirksamen OT-Mitgliedschaft ist, dass die Verbandssatzung für die Mitglieder ohne Tarifbindung nicht lediglich die Rechtsfolge des § 3 Abs. 1 TVG abbedingt. Sie muss darüber hinaus für Tarifangelegenheiten eine klare und eindeutige Trennung der Befugnisse von Mitgliedern mit und ohne Tarifbindung vorsehen. Eine unmittelbare Einflussnahme von OT-Mitgliedern auf tarifpolitische Entscheidungen ist unzulässig. Diese dürfen daher nicht in Tarifkommissionen entsandt werden, den Verband im Außenverhältnis nicht tarifpolitisch vertreten und nicht in Aufsichtsorganen mitwirken, die Streikfonds verwalten. Zudem sind sie von Abstimmungen auszuschließen, in denen die tarifpolitischen Ziele festgelegt oder Ergebnisse von Tarifverhandlungen angenommen werden. OT-Mitgliedern stehen allerdings die allgemeinen Mitwirkungsrechte eines „gewöhnlichen“ Vereinsmitglieds zu, die keinen originären Bezug zur Tarifpolitik des Verbands haben.

 

Die Klägerin hat ihren Wechsel in eine OT-Mitgliedschaft innerhalb des Arbeitgeberverbandes vor dem Kampfaufruf der Beklagten offen gelegt. Der Gewerkschaft muss bei einem Wechsel von einer Mitgliedschaft mit in eine solche ohne Tarifbindung während laufender Tarifverhandlungen die Möglichkeit eröffnet werden, zu überprüfen, ob sich hierdurch die Verhandlungssituation und die Rahmenbedingungen für den geplanten Tarifabschluss wesentlich geändert haben. Andernfalls ist der erfolgte Statuswechsel tarifrechtlich wegen Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG iVm § 134 BGB unwirksam.

Da die Unterrichtung vorliegend vor dem Kampfaufruf am 29. Mai 2009 erfolgte, war der Aufruf zum Warnstreik zur Durchsetzung einer Lohn- und Gehaltserhöhung um 5 % in diesem Unternehmen rechtswidrig. Es handelte sich auch nicht um einen rechtmäßigen Partizipationsstreik.

Hinweis:

Der Partizipationsstreik richtet sich gegen einen Außenseiter-Arbeitgeber, der zwar keinem Arbeitgeberverband angehört, gleichwohl aber kein an der Verbandsauseinandersetzung unbeteiligter Dritter ist. Merkmal und Wirksamkeitsvoraussetzung eines Partizipationsstreiks ist, dass der Außenseiter nicht lediglich faktisch am Ergebnis eines Verbandsarbeitskampfes mehr oder weniger wahrscheinlich teilhat, sondern die Übernahme des umkämpften Verbandstarifvertrages rechtlich gesichert ist. Diese Anforderung ist erfüllt, wenn ein mit dem Außenseiter vereinbarter Firmentarifvertrag auf näher bezeichnete Verbandstarifverträge dynamisch verweist.

Ebenfalls wurde kein zulässiger Unterstützungsstreik geführt. Hier fehlte es insbesondere an einen entsprechenden eindeutigen Streikaufruf. Der Warnstreik richtete sich ausweislich des Streikaufrufs gegen die Arbeitgeberin als Mitglied des Arbeitgeberverbands. Eine „Umdeutung“ eines Streiks in einen Unterstützungsstreik ist nicht möglich.

Hinweis:

Auf den Inhalt des Streikaufrufs stellt die Rechtsprechung maßgeblich bei der Frage ab, ob ein zulässiges Streikziel verfolgt wird. Die Zulässigkeit eines solchen Unterstützungsstreiks beurteilt das BAG seitdem allein nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Arbeitskampmaßnahmen gegen unbeteiligte Dritte seien nur dann rechtswidrig, wenn sie zur Unterstützung des Hauptarbeitskampfes offensichtlich ungeeignet, offensichtlich nicht erforderlich oder unangemessen sind. Erhebliche Bedeutung kommt dem Umstand zu, ob und in welcher Weise der mit dem Unterstützungsarbeitskampf überzogene Arbeitgeber mit dem oder den Adressaten des Hauptarbeitskampfes „wirtschaftlich verflochten“ ist. Ein Unterstützungsstreik gegen ein OT-Mitglied allein aufgrund der Verbandsmitgliedschaft ist nicht angemessen. Hiergegen spricht, dass OT-Mitglieder auf Grund der von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen für eine OT-Mitgliedschaft keine institutionell abgesicherte Möglichkeit haben, Einfluss auf die Tarifverhandlungen des Verbands zu nehmen. Insoweit müssen gleiche Interessen bejaht werden können, die z.B. vorliegen, wenn das OT-Mitglied sich aktiv in die Tarifauseinandersetzung einmischt.       

Vorliegend gab es aufgrund der OT-Mitgliedschaft keine Anhaltspunkte mehr für eine rechtlich gesicherte Übernahme der Entgelttarifverträge. Auch enthielten nur 48 von insges. 160 Arbeitsverträgen eine dynamische Bezugnahme.

Die Beklagte hat durch den rechtswidrigen Streik bei der Klägerin eine zum Schadensersatz verpflichtende unerlaubte Handlung iSd. § 823 Abs. 1 BGB begangen. 

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Joachim Benclowitz

Fachanwalt für Arbeitsrecht, 
Absolvent des Fachanwaltslehrganges Urheber- und Medienrecht

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